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Neue Studie zur Psychoakustik Wohlklang lässt sich nicht berechnen

Harmonien, die in einem ganzzahligen Schwingungsverhältnis zueinander stehen, empfinden wir als besonders angenehm - soweit eine Theorie, die auf den griechischen Mathematiker Pythagoras zurückgeht. Eine Studie von Wissenschaftler:innen aus Deutschland, den USA und Großbritannien zeigt nun, dass das nur bedingt stimmt.

Zwei Frauen hören Klänge | Bildquelle: KI Midjourney - Manuel Braun

Bildquelle: KI Midjourney - Manuel Braun

Welche Töne klingen gut zusammen? Schon in der Antike war das eine grundlegende Frage. Auf den griechischen Mathematiker Pythagoras, der im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte, geht die Theorie zurück, dass wir Zusammenklänge dann als besonders angenehm empfinden, wenn die Frequenzen in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen.

Pythagoras' Theorie: Harmonien beruhen auf ganzzahligen Frequenverhältnissen

Auf dieser Theorie fußt die westliche Musiktheorie mit Intervallen und Tonleitern. Nehmen wir eine Oktave zwischen zwei Tönen A: Ein Ton schwingt mit der Frequenz von 220 Hz, der andere mit der Frequenz von 440 Hertz, also doppelt so schnell. Beide Töne stehen im ganzzahligen Verhältnis von 2:1. Eine Quinte steht im ganzzahligen Frequenzverhältnis von 3:2, eine Quarte im Verhältnis 4:3. Theoretisch müssten wir - laut Pythagoras - diese perfekten Schwingungsverhältnisse als besonders harmonisch empfinden.

Intervalle in der Musik

Die westliche Musiktheorie basiert auf Halbtönen. Der Abstand zwischen zwei Tonhöhen wird als Intervall bezeichnet. Zwölf Halbtonschritte entsprechen einer Oktave (z.b. von einer Note C zum nächsthöheren C). Eine reine Quinte besteht aus sieben Halbtonschritten, eine reine Quarte aus fünf Halbtonschritten.

Menschen bevorzugen Abweichungen von der Perfektion

Doch Pythagoras' Theorie stimmt so nicht, zeigt eine neue Studie eines internationalen Wissenschaftsteams des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik Frankfurt, der University of Cambridge und der Princeton University. Das Forscherteam hat dazu online Hörexperimente mit 4.272 Proband:innen in Südkorea und den USA durchgeführt, die unterschiedliche Hörgewohnheiten hatten.

Das Ergebnis: Die Versuchsteilnehmer:innen bevorzugten kleine Abweichungen von der Perfektion. Eine Schwingung knapp über oder unter der exakt berechneten Oktave wurde als angenehmer eingestuft als der "reine" Klang. Unser ästhetisches Empfinden von schönen, angenehmen Zusammenklängen lässt sich also nicht in ganzzählige Verhältnisse zwängen.

Hörexperimente mit der indonesischen Bonang

Bonang | Bildquelle: picture alliance / Dorling Kindersley | Geoff Dann Die Bonang ist ein indonesisches Instrument, das in der Gamelan-Musik verwendet wird. | Bildquelle: picture alliance / Dorling Kindersley | Geoff Dann Und noch eine interessante Erkenntnis bringt die Studie: Welche Frequenzabstände wir als konsonant und dissonant wahrnehmen, hängt von der speziellen Klangfarbe des jeweiligen Instruments ab. Denn über dem angespielten Grundton schwingen auch andere Frequenzen mit, etwa die Obertöne. Dieses Frequenzspektrum variert je nach Instrument. Aber wie beeinfusst das nun unser Klangempfinden? Um das zu beobachten, wurden den Studienteilnehmenden synthetisch erzeugte Töne vorgespielt, die einem glockenähnlichen Instrument aus Indonesien nahe kamen, der Bonang. Schlägt man sie an, schwingen Frequenzen mit, die "diffus" wirken und nicht auf mathematische Frequenzbeziehungen zurückzuführen sind. Im Experiment wurde ein Ton dabei stets höher, der andere blieb gleich hoch. Die Proband:innen sollten bewerten, welche Intervalle für sie konsonant und dissonant klangen.

Empfinden von Konsonanz und Dissonanz hängt mit der Klangfarbe zusammen

Am Ende zeigte sich ein komplett neues Muster von Konsonanten und Dissonanzen, das nicht den mathematischen Beziehungen in der westlichen Musiktheorie entspricht. "Der grundlegende Gedanke für die meisten Musiktheorien der letzten 1.000 Jahre war: Dieses Verhältnis ist gut und jenes Verhältnis ist gut. Aber niemand sagt: Dieses Verhältnis ist gut für diese Klangfarbe und jenes Verhältnis für jene Klangfarbe", meint der Co-Autor der Studie Nori Jacoby vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt. Das ist der Knackpunkt, wo Pythagoras in diesem Sinne falsch gelegen hatte. Er betrachtete allein die ganzzahligen Verhältnisse und nicht die Klangfarbe. Und wir zeigen: Nein, die Klangfarbe muss einbezogen werden." Zwar gab es schon vorher Theorien zum ästhetischen Empfinden von Musik, bei denen die Klangfarbe berücksichtigt wurde. Doch die neue Studie hat erstmals im großen Stil Hörexperimente dazu durchgeführt.

Anregungen für Komponist:innen

Doch stellt die Studie nun unser ganzes Verständnis von Intervallen und Tonleitern auf den Kopf? Keineswegs. Konsonante Intervalle wie Oktaven, Quinten und Quarten wurden auch der Studie als wohklingend bestätigt. Doch Wissenschaftler Nori Jacoby, selbst Bratscher, möchte mit der Studie den Blick auf das eingefahrene Tonsystem und die Stimmungen weiten. Mikrotöne und elektronisch andersartig erzeugte Klänge haben ja schon Komponisten der Moderne inspiriert. "Ich denke, Künstlern Ideen zu geben, was funktioniert, ist eine schöne Konsequenz von wissenschaftlicher Arbeit. Es sagt ihnen nicht, was sie tun sollen, aber es öffnet ihnen eine Tür zu neuen Interaktionen, die sehr stark sind, sogar mit normalen Hörern, also keinen Experten. Jeder kann dieses Wohlempfinden von Klängen nachvollziehen."

Sendung: "Allegro" am 14. März 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Freitag, 15.März, 16:40 Uhr

Karl Ripfel

Harmonische Klänge

Die Mischung aus harmonischen Klängen und disharmonischen Klängen entscheidet.

Freitag, 15.März, 16:38 Uhr

Karl Ripfel

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Harmonische Klänge bilden sozusagen die Basis, disharmonsche Klänge die Würze. Die Mischung macht es.

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