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"Eugen Onegin" in Nürnberg Puschkin wird an Russland irre

Die "lyrischen Szenen" von Peter Tschaikowsky erweisen sich am Staatstheater Nürnberg in der Regie von Armin Petras als ungemein anspielungsreiche, aber auch sehr kühle Versuchsanordnung über die russische Kulturgeschichte. Das verwirrte mehr als es berührte, auch wegen des betont beiläufigen Dirigats fern jeder Melancholie.

Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöss

Bildquelle: Bettina Stöss

Mag ja sein, dass Alexander Puschkin das heutige Russland nicht ausgehalten hätte. Ob er allerdings auch an seinem eigenen Versdrama "Eugen Onegin" verzweifelt wäre, ist doch sehr die Frage. Am Staatstheater Nürnberg jedenfalls steht Puschkin über knapp drei Stunden hinweg mit schreckensgeweiteten Augen auf der Bühne und scheint sehr zu hadern mit seiner Geschichte vom arroganten und überheblichen Titelhelden, der erst alle von oben herab über das Leben und die Liebe belehrt und im Alter feststellt, dass er selbst beides versäumt hat. Warum der von Schauspielerin Stephanie Leue ohne Worte gespielte Puschkin dauernd mit einer Birke wedelt und am Ende als suchtkranker Obdachloser vor einem St. Petersburger Nachtclub endet, erschließt sich leider nicht, wie so vieles an dieser Inszenierung von Armin Petras.

Auf der Bühne: Theater im Theater

Klar, Birken haben im Theater immer etwas mit Russland zu tun, aber dass eingangs behauptet wird, dieser "Eugen Onegin" sei so bebildert, wie es sich Puschkin persönlich in seinen Träumen wohl vorstellt hätte, ist befremdlich, Ironie hin oder her. Bühnenbildner Julian Marbach zeigte die Handlung als Theater im Theater: Das ganze Leben ist eine Bühne, manchmal eine Provinzbühne, wer wüsste das nicht, und damit die Zuschauer auch sämtliche dramaturgischen Überlegungen des Regieteams mitbekamen, wurden immer wieder mehr oder weniger erhellende, nicht immer gut lesbare Erklärungstexte zu den emotionalen Zuständen von Puschkins Figuren eingeblendet.

Musikalischer Bilderbogen wird gespannt

Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöss Bildquelle: Bettina Stöss Insgesamt hatte Armin Petras viele Ideen, darunter auch plausible, geriet darüber allerdings in ein anspielungsreiches Durcheinander, das weder dem Versdrama von Puschkin, noch der Oper von Tschaikowsky gerecht wurde. Es wirkte, als ob das Regieteam die russische Kulturgeschichte bei den Proben zu Gedankensplittern zerhackt hatte, um diese dann wahllos über die drei Akte zu verteilen. Da werden die sozialen Gegensätze angedeutet, die Langeweile und die Ignoranz der Oberschicht, die neureiche Wendezeit mit einem fröhlich tanzenden Boris Jelzin. Ein Bilderbogen, der leider überhaupt nicht berührte und somit Tschaikowskys Untertitel "Lyrische Szenen" in keiner Weise gerecht wurde. Unter Anspielung auf den lustig bellenden schwarzen Hund, der einen Kurzauftritt hatte, ließe sich achselzuckend bilanzieren: Was des Pudels Kern war, erschloss sich - anders als in Goethes "Faust" – leider nicht.

Augen trocken, Herz kalt

So blieben beide Augen trocken und das Herz kalt, auch, weil der aus dem westfälischen Münster stammende Dirigent und 1. Kapellmeister Jan Croonenbroeck offenbar vor allem ein Anliegen hatte: Der hoch emotionalen Partitur alles Gefühlige auszutreiben. So unbeteiligt und mechanisch sind die Tschaikowsky-Walzer selten zu erleben, so trocken und beiläufig klingt die berühmte Liebesbrief-Szene nicht oft. Natürlich passte diese distanzierte Haltung zur Inszenierung, die mit den Verfremdungseffekten eines Bertolt Brecht liebäugelte: Glotzt nicht so romantisch! Und das bei Tschaikowsky, diesem von russischer Schwermut und unerfüllter Sehnsucht überlaufenden Künstler.

Wirre und überfrachtete Satire

Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöss Bildquelle: Bettina Stöss Entsprechend schwer hatten es die Mitwirkenden. Chor und Tanzensemble hatten noch die wenigsten Probleme und warfen sich beherzt in eine Art überbelichtete Gesellschaftssatire. Das war kurzweilig anzuschauen. Samuel Hasselhorn in der Titelrolle des Onegin war weder als adeliger Schnösel noch als reuiger Sünder glaubwürdig. Auch Sergei Nikolaev als eifersüchtiger Duellpartner Lenskij schien sein tragisches Schicksal weitgehend gleichgültig zu erdulden. Die ukrainische Sopranistin Tetiana Miyus als verliebte Tatjana zeigte sich beherrscht bis zur Selbstverleugnung. Nicolai Karnolsky durfte als allseits verehrter Fürst Gremin keine Bass-Wohligkeit ausstrahlen, sondern musste hier als krimineller Nachtclubbesitzer herhalten, der zum Finale quasi nebenbei erschossen wird: Russland als seelischer und politischer Kühlschrank.

Insgesamt ein wirres und schwer überfrachtetes Konzept, das Puschkin in Mithaftung nahm. Immerhin: Risikobereit war er ja zu Lebzeiten tatsächlich, auch politisch. Eher zurückhaltender Applaus für das Regieteam, sehr freundlicher Beifall für die Mitwirkenden.

Sendung: "Allegro" am 18. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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