Am Sonntag feiert Prokofjews "Krieg und Frieden" Premiere an der Bayerischen Staatsoper, live übertragen von BR-KLASSIK im Radio und im Videostream. BR-KLASSIK-Autorin Sylvia Schreiber hat mit den Beteiligten gesprochen und ist sich schon jetzt sicher: Diese Inszenierung wird Diskussionen auslösen.
Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Rund um die Bayerische Staatsoper ist alles wie immer: Die Straßenbahn auf der Maximilianstrasse macht lautstark auf sich aufmerksam, Papiertüten aus edlen Boutiquen baumeln rhythmisch an Handgelenken, melancholische Straßenmusik aus Osteuropa.
Im Haus hingegen ist nichts, wie immer. Die Bayerische Staatsoper bereitet ihre schwierigste, haarigste, sensibelste Premiere der Spielzeit vor: "Krieg und Frieden" von Sergej Prokofjew. Sicherheitspersonal steht am Bühneneingang. Von den Singenden ist keiner bereit, ein Interview zu geben. Und es gibt viele Stimmen gegen das Vorhaben, erzählt der Dirigent Vladimir Jurowski.
"Wir haben auch kritische Briefe bekommen", erzählt der Dirigent im Interview, "von verschiedenen Stellen, hauptsächlich von ukrainischen. Aber auch bei uns im Haus, an der Bayerischen Staatsoper, gibt es Menschen, die überhaupt nicht verstanden haben, wie man heute so eine Oper machen kann. Und dann sage ich immer: lest Tolstoi. Denn er ist alles andere als patriotisch oder nationalistisch gesinnt. Ganz im Gegenteil. Er ist ein Humanist, ein Gegner des Krieges und des sogenannten Patriotismus. In Letzterem sieht er eigentlich nur einen Vorwand, um Menschen zu töten."
Literarische Grundlage für die Oper ist der nahezu zentnerschwere Roman Lev Tolstois: "Krieg und Frieden". Der bezieht sich auf ein historisches Ereignis, nämlich die Zeit rund um 1812, als Napoleons Truppen sich bis nach Moskau vorkämpften. Nachdem die Deutschen in Russland eingefallen sind, im Jahr 1941, sieht Prokofjew darin historische Parallelen zu Tolstois Roman. Er beginnt mit der Oper und beißt sich daran die Zähne aus. 12 Jahre arbeitet er um und wieder um. Prokofjew und seine Frau überfrachten das Libretto mit stalinistischen Worthülsen. Um zu gefallen, und um zu Überleben.
BR-KLASSIK überträgt die Premiere von "Krieg und Frieden" am Sonntag, den 5. März, ab 17 Uhr live im Radio und im Videostream.
Das merke man, sagt Jurowski. Das Stück bleibe in seinem Wesen widersprüchlich. "Prokofjew war nicht nur ein Humanist, sondern auch ein Opportunist. Der überschwängliche Patriotismus der Oper "Krieg und Frieden" ist nicht nur eine Masche, eine Art notwendiges Kostüm, das Prokofjew trägt, um damals akzeptiert zu werden. Seine überschwänglichen Loblieder an das russische Heer, an das russische Volk werden plötzlich zu einer Art Anklageschrift gegen dieselben. So ist das ja manchmal: Wenn man jemanden besonders eifrig lobt, dann kommt das Gegenteil davon heraus."
Und jetzt kommt dieses uneindeutige Stück also in gekürzter Form auf die Bühne, ein Jahr, nachdem Russland die Ukraine überfallen hat. Dirigent Vladimir Jurowski sieht die moralische Basis für das kritische und kritisierte Unterfangen vor allem in der Geisteshaltung von Schriftsteller Tolstoi. Für den russischen Regisseur Dmitri Tschernjakow, der das Ganze in Bilder fassen muss, ist das mehr als nur eine künstlerische Herausforderung. Denn unsere Köpfe sind ja voll mit grausamen Kriegsbildern aus der Ukraine.
Seit fast einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Anfang März hat "Krieg und Frieden" von Sergej Prokofjew an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Das Werk eines russischen Komponisten. Unpassend? Ganz und gar nicht, sagt Vladimir Jurowski im BR-KLASSIK-Interview. Hier geht's zum Artikel.
"Es wäre sehr schwierig, dieses Stück einfach nur historisch zu inszenieren", betont Tschernjakow, "in einer Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wir können den Bezug zur Gegenwart nicht einfach ausblenden. Allein schon deshalb nicht, weil die Menschen im Publikum diesen Bezug herstellen werden! Als mir das bewusst wurde, war mein erster Reflex: ich gebe auf. Ich wusste nicht, wie ich das zusammen bekommen soll."
So sieht sie aus, die Säulenhalle, die Regisseur Tschernjakow als Schauplatz seiner Inszenierung ausersehen hat | Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Viele Fragen hat Tschernjakow sich und Freunden gestellt, bis er dann, fast wie aus heiterem Himmel, eine Grundidee gefunden hat: Einen Ort, der als größter gemeinsamer Nenner eine Menge bekannter Bilder assoziieren lässt und der doch nicht einengt: Es ist ein Säulensaal in Moskau, genannt "Haus der Gewerkschaften". Alle Russen würden diesen Saal kennen, so der Regisseur. "Heute gehört er zum russischen Parlament. Das Besondere an dem Gebäude ist, es hat den Brand von Moskau 1812 unbeschadet überstanden. Und noch was: hier wurden alle Staatschefs aufgebahrt."
In diese prunkvolle Säulenhalle, die sich leicht mit dem Inneren des Theaters von Mariupol verwechseln lässt, verfrachtet Regisseur Tschernjakow 140 Menschen: Solistinnen und Solisten, plus Chor, plus Statisterie. Alle sind immer auf der Bühne, also in diesem Saal eingeschlossen. "Am Anfang sind alle Figuren auf der Bühne Opfer einer tragischen Situation", erläutert Tschernjakow, "und dann werden wir sehen, wie sich die Menschen, die in einem geschlossenen, isolierten Raum zusammenleben, wie sich deren geistige Haltung in eine ziemlich spezielle Richtung entwickelt, mit einer recht gefährlichen Tendenz."
Die Produktion der Prokofjew-Oper steht also nicht nur unter einem historisch inspirierten, aber letztlich fiktiven kriegerischen Stern, wie viele Opern: Krieg herrscht im fiktiven Bühnenraum, in der Romanvorlage, in der Musik. Diese Oper "Krieg und Frieden" findet statt in einer Zeit, in der wir alle auf irgendeine Weise in den Russisch-Ukrainischen Krieg verwickelt sind. Sie wird zu heftigen Diskussionen anregen.
Sendung: "Piazza" am 4. März ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Montag, 06.März, 09:42 Uhr
Wolfgang Ludwig-Mayerhofer
So kann man sich täuschen!
Ich hatte von Tscherniakow nach dem missratenen Freischütz auch nichts erwartet. Und jetzt das -- eine wirklich ausgezeichnete Arbeit mit sehr überzeugenden Darstellerinnen und Darstellern.
Übrigens: Mag Krieg und Frieden auch nicht ganz so kosmopolitisch und humanistisch sein, wie Jurowski es darstellt -- super-nationalistisch (und kriegslüstern) ist das Buch ganz gewiss nicht. Und wenn sie adäquat dargeboten wird, ist die Musik durchaus spannend.
Montag, 06.März, 06:12 Uhr
paul-ludwig voelzing
krieg und frieden ohne komma
Im Haus hingegen ist nichts, wie immer.
ein schönes beispiel für kommasetzung. in dieser fassung ist er kein kompliment für das haus: dort ist nämlich nichts (gut; in ordnung), halt wie immer.
ohne komma -und das ist gemeint-, sieht dieses mal das haus anders aus als sonst.
Samstag, 04.März, 19:30 Uhr
Peter Valko
Hässlich sind die Bilder keineswegs. Ich freue mich auf die Produktion und finde auch nicht dass hier jemand etwas unredliches behauptet..
Samstag, 04.März, 10:45 Uhr
Theodor
Wenn einem die Botschaft einer Oper nicht passt...
...dann sollte man sie nicht spielen und sich eine andere aussuchen bzw. selbst eine andere schreiben (ok, diese Option fällt bei der allgemeinen Talentlosigkeit der heutigen Künstler flach).
Prokofieff wollte eine super-nationalistische Oper mit "Krieg und Frieden" schreiben, und Tolstois Romanvorlage gibt das auch her. Dass Jurowski jetzt das Gegenteil behauptet, ist unredlich.
Musikalisch ist "Krieg und Frieden" nicht gerade Peak-Prokofieff, und eigentlich bräuchte diese Oper alle Unterstützung, derer sie habhaft werden kann (wenn man sie denn spielt). Der Regisseur Tscherjakow sieht eine solche Unterstützung leider unter seiner Würde an, und pfropft lieber eigene Geschichten auf, so dass sich ein musikalischer Leerlauf ergibt (siehe Berliner "Ring"). Die Bilder sind jetzt auch nicht besonders verheißungsvoll. Mit Hässlichkeit stößt man Menschen ab.
Ein Erfolg würde mich überraschen