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"Krieg und Frieden" & Co. Prokofjew und die Oper(n)

Am Sonntag feiert an der Bayerischen Staatsoper eine Neuinszenierung von "Krieg und Frieden" Premiere - und BR-KLASSIK überträgt live. Grund genug, sich davor nochmal in das Opernschaffen Prokofjews rein zu wühlen. Am besten zusammen mit Opernredakteur Volkmar Fischer.

Der Junge weiß schon früh, was er will: "Mama, ich möchte eine Oper schreiben!" Das ruft der achtjährige Sergej Prokofjew seiner Mutter zu, als die beiden erstmals gemeinsam eine Vorstellung im Moskauer Bolschoi-Theater gesehen haben. Und wie stellt er sich das musikalisch vor? Der Komponist, kaum erwachsen geworden, will eine kantable Melodik, "die auch einem nicht geschulten Hörer sogleich verständlich ist". Mit gepfefferter Harmonik geben Walzer und Märsche den Ton an. Betrachten wir drei zentrale Opernprojekte Prokofjews: "Die Liebe zu den drei Orangen", "Der Feurige Engel" sowie - aus aktuellem Anlass - "Krieg und Frieden". Deren Premierentermin ist im Münchner Nationaltheater am Sonntag, den 5. März um 17 Uhr. Und BR-KLASSIK überträgt live. 

"Die Liebe zu den drei Orangen" ...

Mitglieder des Ensembles und des Staatsopernchors Stuttgart | Bildquelle: Matthias Baus Szenenbild der Sttgarter Inszenierung der "Drei Orangen" von Axel Ranisch | Bildquelle: Matthias Baus Amerika vor Augen: Als Prokofjew 1918 seiner Heimat den Rücken kehrt, greift er ins Reisegepäck: zum Theateralmanach mit dem programmatischen Titel "Ljubow k trjom apelsinam". Hier findet sich die Bearbeitung eines Märchenstücks von Carlo Gozzi, anno 1761 unter dem Titel "L’amore delle tre melarance" erschienen. Prokofjew wartet die Ankunft in der Neuen Welt nicht ab. Noch unterwegs nimmt er den Rotstift, strafft, kürzt - und bringt einen Textentwurf zu Papier, aus dem später die Oper "L’amour des trois oranges / Die Liebe zu den drei Orangen" wird. In Chicago begeistert sich Cleofante Campanini, Direktor der dortigen Oper, für Prokofjews Kompositionsvorhaben.

Im Januar 1919 kommt es zum Vertragsabschluss, Anfang Oktober sollten die "Orangen" fertig sein. Doch durch den Tod des Intendanten wird aus der vereinbarten Uraufführung vorerst nichts. Erst unter Mary Garden, der neuen Chefin im Chicagoer Opernhaus. Am Premierenabend steht Prokofjew persönlich am Dirigentenpult, und dem Publikum gefällt sein Werk auf Anhieb. 1922 ist die Produktion in New York zu sehen, bald darauf in Köln und Berlin. An der Bayerischen Staatsoper kommt "Die Liebe zu den Orangen" zum letzten Mal vor 31 Jahren als Neuproduktion heraus. Juri Ljubimow inszeniert, der damalige Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch dirigiert - im März 1992.

... ist für Strawinsky die "beste komische Oper des 20. Jahrhunderts"

Prokofjew benennt die Handlungsebenen seiner Oper wie folgt: "die der Personen aus dem Märchen; die der unterirdischen Mächte, von denen die ersteren abhängen; schließlich die Vertreter der Direktion, die alle Vorgänge kommentieren". An fantastischen und ironisierenden Elementen liegt dem Komponisten sehr. Statt einer logisch entwickelten, psychologisch motivierten Handlung, statt der aus romantischen Opern oder dem Musikdrama bekannten Formschemata mit breit ausgewalzten, melodramatisch von großen Gefühlen sprechenden Soloszenen und Ensembles favorisiert er Momentaufnahmen in filmischer Schnitttechnik. Als "beste komische Oper des 20.Jahrhunderts" wird das Werk durch ein treffendes Urteil von Igor Strawinsky bezeichnet.

Buffonesk und spontan soll es zugehen, und alles muss vor Impulsivität vibrieren. So ähnlich wie im Straßentheater oder in der Hans-Wurstiade. Die Figuren der Oper wechseln häufig ihr Gesicht, ihr Erscheinungsbild. Allein im Prinzen, der ergiebigsten Rolle des Stücks, stecken drei oder vier "verschiedene" Menschen. Er erinnert an Tamino, wie "Die Zauberflöte" überhaupt mehrfach Gegenstand der Anspielung zu sein scheint. Den Weg zu Prokofjews arabesk-pointierter Bühnenästhetik hat auch E.T.A. Hoffmann geebnet, musikalisch vor allem Jacques Offenbach. Und der Königsmarsch? Ein Stück mit Ohrwurm-Qualitäten!

"Der feurige Engel" ...

Vladimir Jurowski dirigiert | Bildquelle: Drew Kelley Vladimir Jurowski | Bildquelle: Drew Kelley Im Jahr 1923 besucht Prokofjew die Oberammergauer Passionsspiele. Noch zuvor findet seine standesamtliche Hochzeit mit der spanischen Sängerin Lina Llubera statt. In einem Akt des Rückzugs aus der Geschäftigkeit des Musikbetriebs hält der Komponist sich, in Begleitung seiner Frau, einige Monate im bayerischen Ettal auf. In der Nähe des Klosters entstehen Teile der Oper "Der feurige Engel". Aufgrund widriger Umstände erlebt Prokofjew sie nie auf der Bühne. Die szenische Uraufführung kommt 1955 am venezianischen Teatro La Fenice zustande.

Prokofjews dritte Symphonie verarbeitet musikalisches Material der Oper. Daher steht dieses Orchesterwerk 2015 im Mittelpunkt des Akademiekonzerts, das der Dirigent Vladimir Jurowski der Opernpremiere "Der feurige Engel" im Münchner Nationaltheater vorangehen lässt - die Neuinszenierung stammt von Barrie Kosky. Der Erfolg ist riesig, und Jurowski wird das Amt des Generalmusikdirektors angeboten, als Nachfolger von Kirill Petrenko.

... nennt Prokofjew selbst sein Hauptwerk

Den Anstoß zu Prokofjews Vertonung der Oper gibt der Roman des führenden russischen Symbolisten Waleri Brjussow (1908). Der existentielle Grundkonflikt zwischen Körper und Seele steht im Zentrum. Die mehrdeutige Darstellung einer Hysterie. Die Doppeldeutigkeit der Titelfigur besteht darin, dass man je nach ideologischem Standort des Betrachters, Göttliches wie auch Satanisches darin verborgen sehen kann. "Der feurige Engel" steckt voller Magie und Mystizismus. Voller Teufelswahn und überspannter Erotik.

Und darum geht’s konkret: Anno 1535 verfällt ein junges Mädchen in Köln seiner ganz persönlichen Vision von Madiel, dem "feurigen Engel". Dabei bekommt Renata es mit dämonischen Mächten zu tun, um schließlich als Hexe verbrannt zu werden. Religiösem Wahn verfallen, sucht sie in Madiel den Mann fürs Leben. Die Inquisition bestraft sie dafür. Eine Frau, die geopfert wird, weil sie das männliche Privileg der Partnerwahl für sich in Anspruch nimmt. Eine Carmen der bevorstehenden Gegenreformation.

Prokofjew bezeichnet den "Feurigen Engel" als sein Hauptwerk vor der Rückkehr in die Sowjetunion. Die teils tonale, teils scharf dissonierende Musik präsentiert die psychischen Prozesse theatralisch wirksam, vermittelt rhythmisch profiliert zwischen deklamatorischen und ariosen Passagen. Als Orientierungshilfen dienen dem Hörer orchestrale und vokale Motive. Renata ist ein Ostinato aus drei Tönen zugeordnet, und für den Engel steht ein kantables Liebesthema – als wollte er schmachten à la Giacomo Puccini.

"Krieg und Frieden" ...

Dem dramatischen Tongemälde "Krieg und Frieden" liegt der berühmte Roman von Leo Tolstoi von 1869 zugrunde. Darin geht es um den Russland-Feldzug von Napoleon Bonaparte. Es scheint Prokofjew unmöglich, in einer einzigen Oper zu spiegeln, was Tolstoi im Roman entfaltet: mit seinen Schlachten, Familienszenen und individuellen Schicksalen, mit seiner Komparserie von Herrschern, Generälen und Offizieren, Armeen und Volksmassen. Nach Art einer Filmdramaturgie werden in der Oper abwechselnd Momente des politischen und solche des privaten Geschehens festgehalten. Die ersten sieben von dreizehn Bildern spielen zu Friedenszeiten, die folgenden im Krieg.

Klicktipp

Seit fast einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Anfang März hat "Krieg und Frieden" von Sergej Prokofjew an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Das Werk eines russischen Komponisten. Unpassend? Ganz und gar nicht, sagt Dirigent Vladimir Jurowski im BR-KLASSIK-Interview. Hier geht's zum Artikel.

Den Gesangs-Text stellt Prokofjew gemeinsam mit der Literatin Mira Mendelson zusammen, seiner zweiten Frau. Es ist dem Komponisten wichtig, die Parallelen zwischen dem Einmarsch Napoleon Bonapartes in Russland 1812 und dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 zu betonen. Er will den Widerstand seiner Landsleute gegen die Invasion stärken. Der Humanismus Tolstois findet sich auch bei Prokofjew. Aber frei von Opportunismus ist er der Ästhetik des "sozialistischen Realismus" gegenüber keineswegs - eingeschüchtert vom stalinistischen Staatsterror. 1948 kommt es zu einer Maßregelung des Musikers durch das Zentralkomitee der Partei, dem die Oper nicht patriotisch genug ist. Ohne diesen Eingriff von außen würde "Krieg und Frieden" punktuell vielleicht weniger plakativ klingen.

Die Melodie muss einfach und verständlich sein, ohne ins Hausbackene oder Triviale abzugleiten
Sergej Prokofjew

Man merkt: Spätromantische Ausdrucksmittel sind keineswegs verpönt. Kontrastierend zu den Kriegsmärschen der Schlachten wirken Tänze, Arien und Duette der Liebeshandlung um Natascha Rostowa und André Bolkonski. Die beiden lernen sich auf einem St. Petersburger Ball kennen. Andrés Vater lehnt eine Verbindung ab und schickt seinen Sohn für ein Jahr ins Ausland. Natascha gerät ins Visier der leichtfertigen Hélène, die sie mit ihrem verheirateten Bruder Anatol Kuragin verkuppeln will. Dessen Entführungsplan scheitert, und die von Schuldgefühlen geplagte Natascha begeht einen Selbstmordversuch. Da kommt die Nachricht von Napoleons Invasion. An der Front schwer verwundet, verzeiht André Natascha, auch von anderen begehrt worden zu sein. Musikalische Reminiszenzen an glückliche Stunden des Paares arbeitet Prokofjew behutsam ein.

... hat Prokofiew nie auf der Bühne erlebt

Manche Analysen besagen: Ganz ähnlich wie in "Pelléas et Mélisande" von Claude Debussy werden in "Krieg und Frieden" nicht Stufen in einem Bewusstseinsprozess der Figuren fixiert - nein, die Figuren werden ihrem eigenen Unterbewusstsein ausgesetzt. Die erste Fassung der Oper Prokofjews ist 1944 fertig, die zweite acht Jahre später. Es bleibt ein "work in progress", ein Torso ohne Vollendung im eigentlichen Sinn. Der Komponist arbeitet immer wieder an Korrekturen, bis zu seinem Tod 1953. Auf der Bühne hat Prokofjew "Krieg und Frieden" nie gesehen. Ironie des Schicksals: Er stirbt am selben Tag wie der Mann, der die Musik der Oper so stark beeinflusst hat - Josef Stalin.

Hinweis

Am Sonntag, den 5. März ab 17 Uhr überträgt BR-KLASSIK die Premiere von Krieg und Frieden im Radio und im Videolivestream.

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