Schwäne gibt es nicht. Und auch sonst ist einiges anders in der Neuproduktion von Richard Wagners "Lohengrin", die am Samstag an der Bayerischen Staatsoper Premiere feiert. Bei Regisseur Kornél Mundruczó ist Lohengrin kein Held und die Figur der Ortrud bekommt eine interessante Neudeutung.
Bildquelle: Wilfried Hösl
"In diesem Stück? Nein, kein Schwan", sagt Regisseur Kornél Mundruczó im Interview mit BR-KLASSIK. In seiner Inszenierung von Wagners "Lohengrin" braucht der Schwanenritter seinen Wasservogel aber auch gar nicht – Mundruczós Lohengrin kommt nicht aus einer mystischen Welt, er ist nicht der Heilsbringer. Er kommt aus der Mitte einer eingeschworenen Gemeinschaft, in der alle nahezu gleich aussehen und die darum ein wenig an eine Herde Schafe erinnert. Er ist also nicht der von Gott geschickte Superman. Vielmehr hat ihn das Volk zum Erlöser bestimmt! Tenor Florian Vogt singt den Lohengrin und ihm gefällt dieser etwas andere Ansatz: "Die Sehnsucht nach einer Erlösungsfigur kann ich nicht nachempfinden", erklärt er, denn das entspreche nicht seinem Weltbild.
Johanni von Oostrum singt die Elsa im neuen Lohengrin an der Bayerischen Staatsoper. Ihr Schwanenritter ist Klaus Florian Vogt. Anja Kampe gibt die Ortrud und Johan Reuter den Friedrich von Telramund. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters steht François-Xavier Roth. Am Samstag, 3. Dezember, ist Premiere. BR-KLASSIK überträgt die Vorstellung ab 17:00 Uhr im Live-Stream und im Radio.
Lohengrin ist also kein Held aus dem Off. Sondern ein naiver Typ, der ein bisschen an Arnie Grape aus dem Film "Irgendwo in Idaho" erinnert. Auf so ein "Irgendwo" trifft der Dirigent François-Xavier Roth auch immer wieder in Wagners Partitur. "Man hat das Gefühl, wir sitzen plötzlich an einem anderen Ort. Diese Musik beschert uns ein anderes Gefühl von Zeit", beschreibt der Dirigent. Penibel hat er sich durch die vielen Anweisungen in der Urtextausgabe von Wagners "Lohengrin" gearbeitet: So platziert er die Trompeten an vier verschiedenen Orten im Opernhaus, sogar für eine Stelle unmittelbar unterm Dach. Oder Roth lässt Orchesterklänge aus dem Raum hinter der Bühne erklingen. Denn die musikalischen Illusionen, die Wagner im "Lohengrin" erschafft, faszinieren ihn. "Wagner war ein Künstler, der Alles gedacht und komponiert hat. Schon in der Partitur gibt es eine sehr präzise Inszenierung", erklärt Roth. Wagner wolle etwa beschreiben, wie ein Vogel am Anfang des Tages singt. Roth musste da zuerst verstehen, was Wagner wollte und das dann zusammen mit dem Regisseur organisieren: für den bestmöglichen Klang.
Szene aus "Lohengrin". | Bildquelle: Wilfried Hösl Der Dichte in der Partitur begegnet Regisseur Kornél Mundruczó mit einer Schlichtheit in der Ausstattung und einem Massenauflauf auf der Bühne: Nahezu während der ganzen Oper nimmt der Chor als Volk, als merkwürdig eingeschworene Gemeinschaft am Geschehen teil. Anja Kampe singt die Ortrud und fühlt sich im Gewusel nicht richtig wohl: "Ich bewege mich lieber spontan, ohne dauernd auf andere achten zu müssen, die neben mir stehen, die hinter mir stehen, das beengt mich!"
Als Elsa ist Johanni van Oostrum an das Frageverbot gebunden. Sie darf den rettenden Ritter weder nach seinem Namen noch seiner Herkunft fragen. Das ist der merkwürdige Deal, der ihr im Verlaufe der Oper zu schaffen macht. Als einzige trägt sie Schwarz und ist vielleicht sowas wie das schwarze Schaf in der konformen Gesellschaft. Und ein Mega-Part. "Ich fange lyrisch an und es baut sich ständig auf", erklärt sie. Die Kraft müsse sie da gut einteilen, sagt die Sopranistin, damit sie für den dritten Akt noch genug Energie habe.
Interessant ist, dass Regisseur Mundruczó zwei Rollen im "Lohengrin" aufwertet: einmal die Ortrud. Normalerweise die Xanthippe im Stück, die Schlange. Bei Mundruczó ist sie die einzig rational Denkende, die Fragen stellt. Und dann: der Heerrufer des Königs. Eigentlich hat der nur ein paar Phrasen zu singen. "Das ist stimmlich nicht so leicht, das ist vielleicht die Challenge in der Partie, weil die Sachen, die zu singen sind, exponiert sind und in einer Lage, in der man nicht gerne kalt singt", erklärt der Südtiroler Bariton Andrè Schuen, der als Heerrufer sein Debüt als Wagnersänger gibt. Im neuen Münchner Lohengrin wird der Heerrufer zum Handlanger von König Heinrich, zum kriecherischen Emporkömmling. Für Regisseur Mundruczó, aufgewachsen im sozialistischen Ungarn, ist der "Lohengrin" ein politisches Stück, das verschiedene Formen von Freiheit zelebriert, so wie der junge Revoluzzer Richard Wagner einstmals selbst. "Es ist wirklich eine harte Nuss, wenn man tiefer in das Stück eintaucht. Es ist nicht nur bequem. Es fordert einen als Künstler. Man ist immer auf der Suche nach Fragen und Antworten. Und dasselbe gilt auch für das Publikum. Wagner anzuschauen, ist wirklich nicht nur ein Vergnügen. Es ist anstrengend!"
Sendung: "Allegro" am 2. Dezember 2022, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Sonntag, 04.Dezember, 10:15 Uhr
Schosch Meyer
Liveübertragung
Was für ein weiterer Tiefpunkt.....ich spreche von der Pausengestaltung der gestrigen Live-Übertragung. Zerrt die Moderatorin Mitwirkende der laufenden Vorstellung vor ihr Mikrophon....offenbar noch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, denn aus der Reaktion der Elsa konnte man deutlich sehen, dass sie nicht wußte, dass "live" gesendet wurde. Einfach nur schäbig der Sängerin, die offenbar noch ganz unter dem Eindruck des 1. Aufzugs stand, mit pseudointellektuellen Fragen zu überfallen. Frau Schreiber hätte offenbar am liebsten noch Wagner selber aus dem Grab gezogen, um ihn mit ihren Fragen zu quälen. Bezeichnend: als der Psychologe auf den "plot" des Stückes verwies, wurde sie ganz aufgeregt....das geht doch nicht, dass jemand darauf verweist, dass tatsächlich eine vorgegebene Handlung gibt, an die sich die Ausführenden halten sollten. Wem diese Handlung nicht gefällt, der kann ja gerne sein eigenes Stück schreiben.....Warum in der Pause nicht ein Standbild und Ruhe?
Sonntag, 04.Dezember, 09:15 Uhr
Sabine
Lohengrin
Irgendwo in Iowa, nicht Idaho.
Und Herr Vogt heisst Klaus Florian ...
Samstag, 03.Dezember, 14:18 Uhr
Siegfried Metzger
Danke Wolfgang.......
....Sie sprechen mir aus der Seele! Ich erinnere mich mit Wehmut an die Lohengrin-Inszenierung von Götz Friedrich an der Bayerischen Staatsoper Anfang der 2000er Jahre. Das war der letzte sehenswerte "Lohengrin" dort. Danach ging's nur noch bergab. BSO heute? Nein danke!
Freitag, 02.Dezember, 08:51 Uhr
Wolfgang
Sich ihre Zwangslage schönreden...
...darin sind Sänger mittlerweile recht geübt, auch wenn das Ganze immer wieder seltsam klingt:
"Tenor Florian Vogt singt den Lohengrin und ihm gefällt dieser etwas andere Ansatz: "Die Sehnsucht nach einer Erlösungsfigur kann ich nicht nachempfinden", erklärt er, denn das entspreche nicht seinem Weltbild."
Ok, das Weltbild Richard Wagners muss natürlich vor dem Weltbild dieses Tenors zurücktreten.
Hätte nur noch gefehlt, Voigt hätte gesagt: "Kein Problem, dass es in der Inszenierung keinen Schwan gibt, ich fahre privat eh lieber Auto".
Aber letztlich reden sich die Sänger auch nur ihre Zwangslage schön. Sie müssen tun, was der Regisseur will, egal wie absurd die Vergewaltigungen des Werkes sind. Und wer ist schon gerne als Künster der Sklave eines mediokren Menschen? Also sagt man: "Will ich eh auch so".