BR-KLASSIK

Inhalt

Kommentar zum ZEIT-Interview Ein Brief an Anna Netrebko

Anna Netrebko gibt der "ZEIT" ein großes Interview. Darin distanziert sie sich von den russischen Gewalttaten in der Ukraine, zeigt sich aber auch als Russin, die ihr Land liebt. Ist sie die naive Sängerin, die ihr politisches Handeln selbst nicht bemerkt? BR-KLASSIK-Autorin Kathrin Hasselbeck hat das zu einem Brief bewegt.

Bildquelle: Alexander Demianchuk/Picture Alliance

Der Beitrag zum Anhören

Liebe Anna,

wir kennen uns nicht persönlich. Obwohl, einmal sind wir uns backstage begegnet, in Salzburg. Ich erinnere mich gut an dich. Ein ausladendes, nachtblaues Glitzerkleid hattest du an, mit 35.000 eingenähten Swarovski-Kristallen. So habe ich dich als Klassik-Reporterin wahrgenommen: immer gern viel Bling-Bling, modisch, nennen wir es: mutig, Hauptsache auffallend. Hätte es das Wort Diva nicht schon gegeben, es hätte für dich erfunden werden müssen. Trotzdem, und ich schreibe das bewusst, trotzdem hast du mich berührt, wenn du gesungen hast. Anna, du bist ein Star.

Anna, die Naive?

Nun ist dein Foto wieder auf dem Titel. Nicht irgendeines Glamour- oder Opernmagazins, sondern auf dem Titel der ZEIT. Ich habe dein Interview jetzt mehrfach gelesen, und wirklich, Anna, ich möchte dir ja glauben. Dass du die Naive bist, die die neurussische Fahne vom Separatistenführer in die Hand gedrückt bekommt und denkt, er schenke dir ein Tuch oder einen Schal. Dass du deinen 50. Geburtstag im Kreml feierst, weil der Saal technisch so gut ausgestattet ist. Dass du nicht mitbekommen hast, dass dein Name 2018 auf Putins Unterstützer*innenliste im Wahlkampf gelandet ist. Wie gesagt, ich möchte dir glauben, immerhin bist du diejenige, die für ihre Elsa im Dresdner "Lohengrin" einen Teleprompter brauchte, weil ihr die deutschen Texte zu schwer waren ... No offence!

Das Interview erinnert an eine Pressemitteilung

Du ahnst schon, Anna, da kommt ein ABER. Ich muss zugeben, fast hättest du mich gekriegt. Ein bisschen Mitgefühl hat sich schon in mir geregt: "Lasst sie doch in Ruhe, sie kann nichts dafür, soll sie doch singen und gut ist's!" Aber es ist natürlich komplizierter. Denn, sorry, aber das sind schon echt viele Zufälle, die da so zusammenkommen. So viele Auftritte und Situationen, die zeigen: Natürlich warst du politisch aktiv, und zwar pro-russisch. Und dieses ZEIT-Interview liest sich nicht ohne Grund teilweise wie eine ausgeklügelte Pressemitteilung. Die ZEIT selbst sah sich gezwungen, die langwierige Autorisierungsphase des Gesprächs zu thematisieren. Da wurde um jede Formulierung gerungen, nicht zu viel Pro, nicht zu viel Anti. Stattdessen ein bisschen was von beidem, Pressestrategie: Inszenierung als naive Sopranistin. Das ist dann wohl deine neue Rolle. Andere standen dir besser.

Ein Wunschtraum zu Netrebkos Zukunft

Eines glaube ich dir: dass du gegen die Gewalt bist, die russische Soldatinnen und Soldaten in der Ukraine ausüben. Du sagst, du hast Freundinnen und Freunde dort, das Kindermädchen deines Sohnes kommt daher, auf Instagram schreibst du: "You are part of family". Und ich glaube dir noch was: dass du singen willst. Mein Wunschtraum wäre: Ja, Anna, mach das! Gib Benefizkonzerte für die Ukraine, stell dich in Kiew auf die Bühne der wiedereröffneten Oper, werde die Pussy Riot der Klassik! Aber ich fürchte, da bin ich dann wohl jetzt naiv.

Alles Gute!

Liebe Anna, wahrscheinlich ist es gerade gar nicht so leicht, die Netrebko zu sein. Menschen, die in einer Diktatur großgeworden sind, können dich da vermutlich besser verstehen als ich. Mein Mitgefühl hält sich aber in Grenzen. Ich wünsch dir alles Gute – am liebsten eine starke, neue, herausfordernde Rolle ohne Teleprompter.

Sendung: "Allegro" am 03. Juni 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (9)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Sonntag, 05.Juni, 18:59 Uhr

Hussler Werner

Frau Netrebko

Es ist traurig zu beobachten wie manche Journalisten und Kritiker meinen anerkannte Künstler wie Frau Netrebko politisch instrumentalisieren zu müssen.
Und dann werden diese niveaulosen Schriften auch noch positiv kommentiert!
Schämt euch ihr möchtegern Weltverbesserer!

Samstag, 04.Juni, 10:50 Uhr

Barbara Müller

Zugabe

Selten eine so süffisant-treffende Glosse so charmant verpackt

Freitag, 03.Juni, 14:01 Uhr

Kaspar Apfelböck

Ein Brief an Netrebko


Wer keine sachlichen Argumente hat, arbeitet sich an Äußerlichkeiten ab. Und ob die Verfasserin auch nur einen Satz aus Eugen Onegin beherrscht, braucht man gar nicht zu fragen.
Widerlich.

Freitag, 03.Juni, 11:25 Uhr

Christoph Graf-Noha

Brief an Anna

Liebe Kathrin,
wir kennen uns nicht persönlich. Ich höre Ihnen oft zu als Hörer von BR Klassik. Herzliche Gratulation zu Ihrem Brief an Anna! Sie äussern sich sehr höflich, aber unmissverständlich. Und Ihr Wunschtraum – möge er in Erfüllung gehen!
Herzliche Grüsse, Christoph

Freitag, 03.Juni, 10:54 Uhr

AL

wir kennen uns nicht persönlich

das hätte es Ihnen verbieten sollen, diesen Artikel zu schreiben, wenn Sie Ethik hätten.

und Bravo für die Zensur von Kommentaren, die keine Beleidigungen enthalten, sondern fundierte Informationen enthalten, die Ihre ideologische Voreingenommenheit brechen.

Freitag, 03.Juni, 07:00 Uhr

Franz Walter Freudenberger, Neunkirchen/Saar

K.Hasselbeck zu Netrebko

Ich denke in solchen Zusammenhängen oft an (ja, wirklich:) Michael Schumacher, der (vor vielen Jahren, weshalb ich auch das Thema nicht mehr erinnere) in einem Interview zu einer aktuellen politischen Frage sagte, er sei Rennfahrer und kein Politiker, deshalb möge man ihm bitte fragen zu Finden stellen, von denen er etwas versteht.
Frau Hasselbecks Kommentar ist ausgezeichnet, jedenfalls was Frau N. angeht. und als einer Redakteurin für Musik brauchte sie zurecht nicht zu thematisieren, wie seltsam es ist, wenn eine doch sehr angesehene Zeitschrift wie DIE ZEIT einerseits Frau N. sogar auf die Titelseite hebt, sich aber im Heft-Inneren insoweit distanziert, als sie die gar nicht einmal heimlich abgelaufene “Verbesserung“ des Interview-Inhaltes schildert.
Letztlich frage ich mich, wer für diese “Korrekturarbeit“ verantwortlich ist. Die Protagonisten selbst (die vermutlich in der “Urfassung“ des Interviews so unbedarft drauflosgeplappert hat wie von ihr zu erwarten ist) war's wohl nicht

Freitag, 03.Juni, 00:45 Uhr

Anna

Netrepko

Es kommt drauf an, wer wie die politische Situation(Corona, Krieg, jetzige Inflation u.s.w.) interpretiert.
Und man wie viel informiert ist!

Donnerstag, 02.Juni, 21:22 Uhr

winfried vaassen

netrebko

perfekter kommentar!!

Donnerstag, 02.Juni, 18:39 Uhr

AL

Du musst ihr glauben

If you want honestly to clear your doubts : check this pressconference held in feb 2015 in Guadalajara. (After 8'00)
Someone wanted to present her a gift. She answers "I hope it's not a flag".
https://youtu.be/a-WdUN8CarU

This proves she was just sincere when claiming she was caught by surprise when separatists "offered" her a flag.
Very naive but sincere.

And she would not have dismissed immediately that event in a statement dating from dec. 2014 (still available on her official Facebook page) if she intented any support.
She is NOT a political person. And there should not be any doubt about that.

    AV-Player