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Lange haben wir darauf gewartet, jetzt gibt es sie wieder: Festivals! Jazz-Festivals, Rock-Festivals und klassische Festpiele wie Bayreuth oder Salzburg. Für Roland Spiegel eine ganz eigene und wichtige Art des Musikerlebens.

Es steht ernst um mich. Ich bin süchtig. Ich giere nach direkt erlebter Musik. Direkt erlebte Musik: Das klingt nicht nach etwas, das süchtig macht. Aber: Das ist nicht einfach "Live-Musik", die könnte ja – wie in den letzten zwei Jahren so oft – übers Internet übertragen sein, bequem auf meinen Bildschirm. An einen Ort, an dem ich allein bin, wo niemand hustet. Aber auch niemand außer mir atmet und in Begeisterung ausbricht.

Eintauchen in die Musik mit anderen

Publikum dicht an dicht. | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Sven Hoppe Aber: Gerade das will ich. Dieses gemeinsame Murmeln, Raunen, auf den Sitzen Hin- und Herrutschen, in gespannter Erwartung, bevor es losgeht. Dieses Schwitzen, wenn Hochsommer ist und die Hitze nicht Halt macht vor einem vollbesetzten Saal. Schon mal bei 37 Grad in einem Festspielhaus gewesen? Es ist eine Prüfung. Aber wunderschön. Ich will schwitzen. Neben anderen Menschen, die das auch tun – und es beinahe vergessen, weil sie so eintauchen in Musik.

Zum Beispiel demnächst, an Pfingsten, bei den Tagen Alter Musik mit Konzerten in einer der Regensburger Kirchen oder im Alten Rathaus. Harte Sitzbänke gibt es da. Und eng ging es immer zu. Aber was für ein Gemeinschafts-Erlebnis! Was für eine sinnliche Freude, wenn der Klang sich ganz allmählich im Raum auszubreiten scheint, von einer vollbesetzten Bank zur nächsten.

Zu weiche, zu harte, zu schmale Sitze – ganz egal

Es gibt wieder Festivals. In vielen Sparten. Diverse Jazzfestival stehen in meinem Kalender. Ich werde in Bozen Jazzkonzerte in einem Park hören. Ich werde in Passau Konzerte hören, im wunderschönen Gewölbekeller in Neuburg an der Donau. Ich werde nach Südschweden fahren, weil an dem Ort, an dem einst der Filmkommissar Kurt Wallander ermittelte, in Ystad, ein sehr schönes Festival mit Besuchern aus England, Deutschland, den USA und natürlich Skandinavien stattfindet. Ich werde an anderen Orten mit vielen anderen Menschen Töne in mir aufnehmen – und andere Luft, andere Gerüche, auf jedesmal anderen Sitzen, zu weichen, zu harten, zu schmalen, solchen mit zu kurzen Rückenlehnen und solchen mit gar keinen.

Streaming kann nichts ersetzen

Ich könnte ja ganz viel Musik zu Hause hören. Irgendwas wird immer gestreamt. Ich könnte mich so breit machen, wie ich will. Müsste nicht das dumpfe Rasierwasser des Nachbarn zur Rechten und das schwere Parfum der Nachbarin zur Linken riechen. Ich müsste nicht mühselig reisen – denn, übrigens, ich fahre zu allen Festivals mit dem Zug, schon immer. Streamen, wie wäre das angenehm: keine Verspätungen, keine nicht auffindbaren, eigentlich reservierten Sitzplätze. Einfach das Sofa daheim. Aber das kenne ich jetzt zur Genüge.

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Ich muss raus. Ins Hör-Abenteuer mit anderen Menschen. Ein bisschen mulmig ist mir noch. So viele tragen keine Masken. Kann das gutgehen? Ehrlich gesagt: Das weiß ich nicht. Vielleicht werde ich in allen Konzerten mit Maske sitzen. Aber meine Ohren wird die Maske nicht bedecken. Und die brauchen jetzt einfach wieder: Musik, die man in der Menge hört, an dem Ort, an dem die Musiker sie spielen. So sind die Töne fühlbar näher.

Sendung: "Allegro" am 27. Mai 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK