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Künstliche Intelligenz in der Musik Wenn Software Gregorianik lernt

Sie heißt Transkribus — und kann, was jeder Historiker gerne möchte: Handschriften jeglicher Epoche lesen, transkribieren und übersetzen, von Hieroglyphen bis Sütterlin. Gerade lernt Transkribus anhand von Choralbüchern des Grazer Franziskanerklosters auch historische Notation der Gregorianik zu lesen.

Alleluia-Verse aus dem St. Galler Cantatorium (Codex Sangallensis 359) | Bildquelle: Wikimedia Commons

Bildquelle: Wikimedia Commons

Gedruckte Dokumente können schon länger von Künstlicher Intelligenz gelesen und übersetzt werden. "Aber für Handschriften ist das was Neues", erklärt der Musikwissenschaftler Robert Klugseder die Besonderheit von Transkribus. Klugseder ist am Zentrum für digitale Geisteswissenschaften an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig und dafür zuständig alle Choralbücher in Österreich zu digitalisieren.

"Transkribus" trainiert mit gregorianischen Chorälen

Das Transkribus-Projekt in Graz soll bei der Digitalisierung helfen. Doch dazu muss die KI erst einmal lernen, handschriftliche Noten zu lesen. Hierbei bot sich der Bestand des Grazer Franziskanerklosters ganz besonders an, denn dort werden die Handschriften der ganzen Provinz zentral aufbewahrt. Bei dem Notenmaterial handelt es sich allerdings um sogenannte Neumen. "Das ist eine spezielle Notation ohne Linien, die bei uns in Europa im Mittelalter vorherrschte. Entstanden ist sie im 8., 9. Jahrhundert. Erst später im 12., 13. Jahrhundert wurden die Noten auf Linien gesetzt", so Klugseder, der das Transkribus-Projekt in Graz leitet.

Was ist Transkribus?

Transkribus ist ein KI-basiertes Softwarepaket, das handschriftliche historische Texte transkribieren und übersetzen kann. Die kostenlose und allgemein verfügbare KI-Plattform wurde vor knapp zehn Jahren von der Universität Innsbruck begründet. Seit 2019 wird sie von der Europäischen Genossenschaft READ-COOP weitergeführt, der weltweit über hundert Institutionen und Mitglieder angehören. Fast 100.000 registrierte Nutzerinnen und Nutzer greifen inzwischen regelmäßig auf Transkribus zurück.

Von mittelalterlichen Neumen zum PDF-Format

Nun ist es einer KI erst einmal egal, ob die Zeichen, mit denen sie umgeht, Buchstaben oder Neumen sind. Dennoch muss sie zunächst lernen, was diese bedeuten. In den vergangenen Monaten wurde Transkribus von Klugseder und seinen Studenten mit etwa 1.500 Scans aus den Handschriften gefüttert. Dazu zeigten sie der KI ein — menschengemachtes — Ergebnis, wie man es sich nachher von ihr wünscht. Nun hofft das Projektteam, dass Transkribus diese Erkenntnisse bei anderen Gesängen genauso anwendet.

Momentan ist das Team in Graz dabei, die ersten Ergebnisse Korrektur zu lesen und Transkribus gewissermaßen die Fehler anzustreichen. Bis zum Projektende im August 2024 sollte die KI dann fehlerlos arbeiten und beispielsweise PDFs mit modernen Noten und übersetztem, durchsuchbarem Text ausspucken. Schon das wird manchem Musiker, mancher Wissenschaftlerin künftig wochenlange Handarbeit ersparen.

Klicktipp: KI und Musik

Softwares erkennen Töne und Akkorde, schreiben Noten, vervollständigen Partituren - alles mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Werden Notenverlage und Komponisten bald überflüssig? Mehr zum Thema lesen Sie hier.

Nächster Schritt: Renaissance- und Barockmusik?

Irgendwann wird Transkribus vielleicht auch lernen, Renaissance- oder Barockmusik zu transkribieren, sagt Robert Klugseder: "Das ist dann um einiges komplexer, weil es um Mehrstimmigkeit und um rhythmisch differenzierte Musik geht. Aber wir legen jetzt die Grundlagen und hoffen, dass das in den nächsten Jahren von anderen Bereichen der Musikgeschichte aufgenommen wird." Bis Transkribus eine Barockkomposition innerhalb von fünf Minuten als moderne Partitur ausspuckt, dürfte es also doch noch ein langer Weg sein. Aber wer weiß: Haben uns die raschen Fortschritte von Anwendungen wie ChatGPT nicht alle überrascht? Robert Klugseder jedenfalls ist optimistisch: "Ich glaube, wir werden uns noch alle wundern, was in relativ kurzer Zeit alles möglich sein wird!"

Sendung: "Allegro" am 28. November 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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