Die Münchner Philharmoniker haben sich von ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev aufgrund seiner engen Beziehung zu Putin getrennt. Muss die Stadt München nun einen finanziellen Ausgleich leisten? Ein Berliner Anwalt ist skeptisch.
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Eines steht fest: Die politische Gesinnung eines Arbeitnehmers kann in Deutschland kein Grund für eine fristlose Kündigung sein. Knall auf Fall trennte sich die Stadt München vom Chefdirigenten der Philharmoniker, Valery Gergiev, weil der als Vertrauter und Bewunderer des russischen Präsidenten Wladimir Putin gilt und sich von seinem Gönner nicht distanzieren wollte. Gergiev schweigt bisher zum Angriff auf die Ukraine, obwohl Oberbürgermeister Dieter Reiter ihn ultimativ zu einer Stellungnahme aufgefordert hatte. Aber ist ein Rauswurf arbeitsrechtlich möglich, nur weil jemand sich weigert, einen Krieg zu verurteilen? Kommt drauf an, wie immer, wenn Juristen das Sagen haben.
Er hat weder das Recht, Leute einzustellen, noch hat er Geschäftszeiten, in denen er arbeiten muss, das ist kein Arbeitnehmer, und das ändert die Sache radikal.
Der auf Streitigkeiten in Kunst und Kultur spezialisierte, sehr prominente Anwalt Peter Raue, der eine Kanzlei in Berlin betreibt, verweist gegenüber dem BR darauf, dass der Dirigent überhaupt kein Arbeitnehmer im juristischen Sinne sei: "Ich bin der festen Überzeugung, dass die vertraglichen Beziehungen zwischen Herrn Gergiev und der Stadt München, die ja Vertragspartner ist, nicht das Arbeitsrecht betreffen, sondern das Dienstrecht. Er hat weder das Recht, Leute einzustellen, noch hat er Geschäftszeiten, in denen er arbeiten muss, das ist kein Arbeitnehmer, und das ändert die Sache radikal."
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Bei Anklage landet der Fall am Landgericht München. | Bildquelle: dpa/Matthias Balk Gergievs Vertrag war bis Sommer 2025 verlängert worden, übrigens in voller Kenntnis seiner politischen Ansichten. Er läuft also noch dreieinhalb Jahre. Zwar ist nicht bekannt, wieviel der Maestro in München verdient, doch anderswo bekommen Star-Dirigenten seines Kalibers zwischen einer und drei Millionen Euro pro Jahr. Die fristlose Kündigung könnte also teuer werden für die Stadt München, die ja auch Ersatzdirigenten bezahlen muss. Doch Peter Raue ist ziemlich sicher, Gergiev wird leer ausgehen: "Ich habe in meinem Leben mit vielen, vielen Verträgen, auch im musikalischen Bereich, Verträge von Chefdirigenten zu tun gehabt und wenn es da Streitigkeiten gab, das ging nie vor das Arbeitsgericht, sondern immer vor das sogenannte 'normale' Zivilgericht, in diesem Fall wäre es das Landgericht München, und dort zu klagen, würde ich Herrn Gergiev abraten, denn da wird er scheitern." Er sehe auch "keine Vergleichsmöglichkeiten", so Raue, nach dem Motto "wir zahlen ihm noch zwei Monatsgehälter".
"Das kommt bei keinem Arbeitsgericht durch", heißt es in der angeregten Debatte auf Twitter von Kommentatoren. Überhaupt hätte Gergiev demnach allenfalls nach einer Abmahnung geschasst werden können. Das Bundesarbeitsgericht urteilte 2011, dass ein rechtsextremer NPD-Aktivist im öffentlichen Dienst nicht fristlos entlassen werden durfte (2 AZR 479/09). Die Ansichten des betreffenden Mitarbeiters waren allerdings auch nicht öffentlich bekannt geworden und konnten somit auch nicht das Ansehen der Behörde beeinträchtigen.
Arbeitsrechtler verweisen jedenfalls darauf, dass es grundsätzlich möglich sein könnte, Gergiev ohne Abfindung loszuwerden. Zum Beispiel gibt es das Mittel einer "Druckkündigung". Damit ist es möglich, sich von Beschäftigten zu trennen, die mit ihrem Verhalten den Betriebsfrieden gefährden. Außerdem müssten öffentliche Arbeitgeber ihr Ansehen schützen, gerade, wenn es um leitende Mitarbeiter geht. Wenn die extreme Positionen verträten, sei eine Kündigung im Ausnahmefall rechtlich zulässig, heißt es im Fachportal "Legal Tribune Online". Für Peter Raue ist eine "Druckkündigung" jedoch im Fall Gergiev keine Alternative: "Wenn ein Arbeitnehmer gegen eine Kündigung klagt, dann kann der Arbeitgeber dem Gericht sagen, bitte, mache doch einen Vorschlag, wie wir den Vertrag auflösen, wir können nicht mehr miteinander, wir müssen den Vertrag beenden. Das nennt man eine Druckkündigung. Dann kann ein Aufhebungsvertrag vom Gericht angeordnet werden. Das geht aber nur, wenn wir beim Arbeitsgericht sind."
Das sind Umstände, die eine Fortsetzung des Dienstvertrags verbieten.
Die Stadt München untersucht gerade die Details zum Vertrag. | Bildquelle: stock.adobe.com/ingusk Von der Stadt München kommt einstweilen nur die dürre schriftliche Mitteilung, die "Details zum Vertrag mit Valery Gergiev" würden derzeit "geklärt". Nachdem die Einzelheiten sicherlich seit Jahren bekannt sind, kann es bei dieser Wortwahl nur darum gehen, Ermessensspielräume auszuloten, Notausgänge zu finden. Dazu Raue: "Daran habe ich nun gar keinen Zweifel, dass bei dieser hohen Stellung, die er inne hatte, der Vertrag so sensibel ist, dass erhebliche Störungen zur Kündigung berechtigen." Der Dienstherr, in diesem Fall die Stadt München, könne jedenfalls die Ansicht vertreten, sie wolle nicht, dass ein Mann an prominenter Stelle steht, der "den Ukraine-Krieg akzeptiert, wie er den Krim-Krieg akzeptiert" habe. Davon sei er "fest überzeugt", so Raue. Außerdem komme hinzu, dass die Philharmoniker hinter der Trennung stünden: "Damit ist meiner Ansicht nach der Dienstherr sogar verpflichtet, diesen Aspekt zu berücksichtigen und den Beschäftigten eine Fortführung der Arbeit mit Herr Gergiev nicht länger zuzumuten. Das sind Umstände, die eine Fortsetzung des Dienstvertrags verbieten."
Hier sind alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine zu finden
Sendung: Leporello am 3. März 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Montag, 07.März, 17:56 Uhr
Gufo
Gergiev
Gergievs politische Einstellung war der Stadt München bei Vertragsschluss bekannt.Dieses „venire contra factum proprium muss auch ein Zivilgericht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung berücksichtigen.
Donnerstag, 03.März, 15:26 Uhr
John Muller
Was für eine Zeitverschwendung: warum sich denn mit sowas beschäftigen?
Vielleicht erst mal abwarten, ob G. überhaupt Geld haben will? Ich kann mir das nicht vorstellen, damit würde er sich absolut lächerlich machen.
Donnerstag, 03.März, 11:06 Uhr
Jule
klangstab@wolke7.net
Man könnte ihn bezahlen und dann das Vermögen beschlagnahmen, wie die Yachten von Oligarchen? Nach Russland kann man das Geld momentan eh nicht überweisen.