Wieso klingen unsere Lieder so wie sie klingen? Eine neue Studie des Max-Plank-Institut für empirische Ästhetik bringt uns der Beantwortung dieser Frage näher. Untersucht wurde, wie sich Melodien durch mündliche Überlieferung verändern. Ergebnis: Das Einfache setzt sich durch.
Bildquelle: Franziskus Büscher
Das Experiment, das man sich am Max-Plank-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) ausgedacht hat, klingt ein wenig skurril. Ja, eigentlich nach einem gigantischen Kindergeburtstag. 1.800 Menschen haben die Forscherinnen und Forscher stille Post spielen lassen. Über 3000 Melodien wurden singend von einer Person zur anderen weitergegeben. Ziel dieses Experiments: Herausfinden, wie sich diese Melodien durch mündliche Überlieferung verändern.
Volksmusikgeschichte im Schnelldurchlauf könnte man das auch nennen. Schließlich wurden Lieder jahrhundertelang auf eben diese Weise weitergegeben, mündlich, von Frau zu Mann, ohne Noten, ohne schriftliche Fixierung. "Wir gehen davon aus, dass interkulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede im menschlichen Liedgut aus diesem Prozess der 'kulturellen Überlieferung' hervorgegangen sind. Bisher war jedoch nicht klar, wie genau die kulturelle Überlieferung die Entwicklung der Musik beeinflusst", so Musikpsychologe Dr. Manuel Anglada-Tort, Leiter der Studie.
Anhand von Haarlocken des großen Komponisten haben Forschende die DNA Beethovens analysiert. Ergebnis: Reizdarm hatte er nicht, aber eine Veranlagung für Leberzirrhose. Hier geht's zum Artikel.
Eine wesentliche Erkenntnis des Experiments: Je einfacher die Melodie, desto größer die Chancen, dass sie 1:1 weitergegeben wird. Denn je einfacher die Melodie wurde, desto weniger Fehler machten die Versuchspersonen bei der Weitergabe. Das ist jedoch nur ein interessantes Ergebnis der Studie. Um herauszufinden, welchen Einfluss die kulturelle Prägung bei der Musikentwicklung hat, arbeiteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit zwei Vergleichsgruppen. Ein Teil der Teilnehmenden kam aus Indien, ein anderer aus Nordamerika.
Beobachten konnten die Forschenden zum einen, dass sich in beiden Gruppen ähnliche musikalische Strukturen herausbildeten: kleine Tonhöhenintervalle sowie an- und abschwellende Melodiebögen. "Wir stellten fest, dass Menschen ähnliche Vorlieben bei der Überlieferung von Musik haben, bedingt durch beispielsweise biologische oder kognitive Faktoren. Musikalische Elemente, die schwer zu singen oder zu behalten sind, wie große Tonhöhenintervalle oder unbekannte Melodien, hielten dem Übertragungsprozess seltener stand", so der Neurowissenschaftler Nori Jacoby, Co-Autor der Studie.
Gleichzeitig zeigten die Vergleichsgruppen auch Unterschiede. Die Studienteilnehmer aus Nordamerika orientierten sich eher an den Konventionen westlicher Musik, während die Teilnehmenden aus Indien indische Skalen bevorzugten. Dies deute darauf hin, dass auch die kulturelle Prägung ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der Musik sei, so die Pressemitteilung des MPIEA vom Mittwoch. Außerdem habe man festgestellt, dass die kulturelle Überlieferung gemeinsame Vorlieben für Musik innerhalb einer Gruppe weiter verstärken könne.
Sendung: "Leporello" am 23. März ab 16:05 auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)