Bayreuther Festspiele
24. Juli - 27. August 2024
Eines der stärksten Orchesterstücke innerhalb der Opernliteratur? Siegfrieds Trauermarsch aus Wagners "Götterdämmerung"! Einer der stärksten Monologe? Brünnhildes Schlussgesang aus Wagners "Götterdämmerung"! Eine der frauendfeindlichsten Opern Wagners? Antworten und weitere Kuriositäten gibt es in unserem Opern-Streckbrief.
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Da etwas, das mit "Superlativen" daherkommt, gerade in einem Zeitalter des Schneller-Höher-Weiter enormes Interesse zu wecken vermag, muss Wagners "Götterdämmerung" eigentlich jeder kennen. Er selbst zumindest hat in ihr einen nie überbotenen Superlativ gesehen, bezogen auf das von ihm geschaffene Gesamtkunstwerk. Obwohl Kenner wissen: Auch mit dem "Tristan" hat Wagner (zuvor schon) manchen Rekord gebrochen: mit dem Blick auf die Harmonik und auch auf Tenorales.
Drei Aufzüge sind bei Wagner Standard: Dass er denen der "Götterdämmerung" ein tönendes Ausrufezeichen vorausschickt, sieht man am zweiteiligen Vorspiel, das sich über mehr als eine halbe Stunde erstreckt. So ergeben sich rund zwei Stunden für Vorspiel und ersten Aufzug, die ineinander übergehen. Durch die insgesamt rund viereinhalb Stunden Musik der Oper erwartet Wagner hier echt "Sitzfleisch".
Keinen Textabschnitt der "Ring"-Dichtung hat Wagner so massiv umgearbeitet wie den Schlussgesang der Brünnhilde. Sein Problem: Zwischen dem ersten Entwurf und der Vertonung stand er unter dem Einfluss diverser Zeitströmungen, auch Philosophen, und da er solche Einflüsse wie immer gerne aufgriff, wäre der Zyklus definitiv anders zu Ende gegangen, wenn er nicht nur im Rückwärtsgang gedichtet, sondern auch von hinten nach vorne komponiert worden wäre.
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Szenischer Bühnenbildentwurf von Josef Hoffmann für die Bayreuther Erstaufführung 1876: 1. Aufzug Halle der Gibichungen am Rhein | Bildquelle: picture alliance / akg-images
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2. Aufzug: Vor der Halle der Gibichungen | Bildquelle: picture alliance / akg-images
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3. Aufzug: Wildes Wald und Felsental | Bildquelle: picture alliance / akg-images
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Schluß: Die brennende Walhall | Bildquelle: picture alliance / akg-images
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Gunther - Farblithographie nach Karl Emil Doepler für die Aufführung 1876, in Bayreuth | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Gutrune - Farblithographie nach Karl Emil Doepler für die Aufführung 1876, in Bayreuth | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Knechte - Farblithographie nach Karl Emil Doepler für die Aufführung 1876, in Bayreuth | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Brünnhilde - Farblithographie nach Karl Emil Doepler für die Aufführung 1876, in Bayreuth | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
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Mannen Gunthers - Farblithographie nach Karl Emil Doepler für die Aufführung 1876, in Bayreuth | Bildquelle: picture-alliance / akg-images
Unter den Darstellern des "Ring"-Zyklus, die in drei von vier Teilen auftreten, muss nur die Interpretin der Brünnhilde am für sie dritten und längsten Abend, der "Götterdämmerung", noch kurz vor Schluss Kraftreserven zeigen: in ihrem monumentalen Gesang "Starke Scheite schichtet mir dort". Hat Wagner Frauen besonders viel Stehvermögen zugetraut?
Wagners "Götterdämmerung" ist insofern seine frauenfeindlichste Oper, als nur die Herren-Riege der Choristen mit ihren Tenören und Bässen einen publikumswirksamen Auftritt hat. Das ist sogar im genauso langen, grundsätzlich extrem männerfreundlichen "Parsifal" anders – vor allem der Blumenmädchen wegen.
Die Goldmedaille der "Kellerkinder" holt Hagen! Kein anderer, für den Wagner einen (tiefen) Bass vorgesehen hat, vermag sich bei uns so viel Respekt zu verschaffen wie er: weder Fasolt und Fafner noch Hunding; weder Daland und Hermann noch Heinrich; weder Marke noch Pogner - selbst Gurnemanz nicht!
Unter den allgemein gefürchteten Heldentenorrollen Wagners ist der "Götterdämmerungs"-Siegfried besonders gefürchtet, weil der Sänger den unmittelbar zuvor absolvierten, enorm umfangreichen Jung-Siegfried noch in den Knochen hat (wenn es keine Umbesetzung gibt). Und als einzige Tenorpartie im Schaffen Wagners muss der "Götterdämmerungs"-Siegfried so furchtlos, wie er sein sollte, mehrfach hinauf zum berüchtigten hohen C ...
Unter den attraktiven Orchester-Vor- und -Zwischenspielen des "Ring"-Zyklus' ist Siegfrieds Trauermarsch so sehr wie kein anderes ein Feuerwerk der Leitmotive. Da sich die Musik zum Triumphzug wandelt, ist das auf Beethoven zurückgehende sinfonische Prinzip "Durch Nacht zum Licht / per aspera ad astra" endlich auch mal in der Oper umgesetzt.
Der Erfindungsreichtum des Instrumentationskünstlers Wagner hat im "Ring" nicht nur die nach ihm benannten Wagner-Tuben zu Ruhm und Ehren gebracht. Es gibt zum Beispiel in der "Götterdämmerung" mit großem Effekt eingesetzte "Stierhörner", die röhren können wie ein Stier. Daher übertreibt man nicht, wenn man sagt, dass Wagner die hehre Kunst in diesem Reifestadium virtuos mit der Natur kurzschließt. Nicht nur Städter, auch Landeier dürfen sich angesprochen fühlen – punktuell jedenfalls.
Nachdem der erste komplette "Ring"-Zyklus 1876 in Bayreuth herausgekommen war, mussten die Festspiele sechs Jahre lang pausieren: So groß war das finanzielle Defizit! Den ursprünglichen Plan, das frisch eingeweihte Festspielhaus nach der Premiere wieder abreißen zu lassen, realisierte Wagner trotzdem nicht. Ahnte er die endlose Erfolgsgeschichte?
Sendung: "con passione" am 22. Juni ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK