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Der wilde Sound der 20er

Programmschwerpunkt BR-KLASSIK 1923 – Der wilde Sound der 20er

Themen "Der wilde Sound der 20er" | Bildquelle: © dpa | Montage: BR-KLASSIK

Bildquelle: © dpa | Montage: BR-KLASSIK

Die Goldenen Zwanziger

Tanz, Glamour, ausschweifende Partys — das sind die Goldenen Zwanziger, wie sie im Bilderbuch stehen. Ein Zeitalter des großen Aufschwungs voller Mut, Pioniergeist und Aufbruchsstimmung. Wirklich golden sind diese Jahre allerdings nur bei wenigen Reichen. Bei anderen macht sich dagegen nach dem Krieg und der Inflation Hoffnungslosigkeit und Angst breit – die Gesellschaft ist gespalten. Eine Spaltung, die in all ihren Ursachen erschreckend stark an die heutige Zeit erinnert. Ein Jahr lang öffnet BR-KLASSIK in vier Kapiteln das Fenster zu dieser Zeit, die so weit weg und doch so nah ist. Zahlreiche Formate, Sondersendungen und Konzerte bieten einen jeweils neuen Blickwinkel auf die wichtigen Themen der Zeit, die Musik, die Lebensumstände von Künstlerinnen und Künstlern und vieles mehr.

Die vier Kapitel

Noch Anfang der 1920er steckt Deutschland in einer großen Krise. Der erste Weltkrieg hat starke Spuren hinterlassen, die Spanische Grippe grasiert und die Inflation tut ihr übriges. Erst ab etwa dem Jahr 1923 wendet sich das Blatt: Der enorme wirtschaftliche Aufschwung bringt eine neue Lebenslust mit sich. Massenveranstaltungen wie Kino, Sport oder Kultur werden beliebter, Partys ausschweifender, zügelloser, freizügiger. Berlin wird zu einer der schillerndsten Metropolen weltweit. Es ist die Zeit zwischen Krise und Aufbruch. Auch Innovation und Technik sind in dieser Zeit auf dem Vormarsch: Die ersten Tonfilme flimmern über die Kinoleinwände, in Berlin geht die erste Rundfunkübertragung in den Äther und das elektrische Aufnahmeverfahren revolutioniert die Schallplatte und damit die gesamte Musik. Doch überall da, wo es Neuerungen gibt, gibt es auch Widerstände – in der Politik wie auch in der Musik. Für Komponistinnen und Komponisten ist es die Zeit der Identitätssuche und -entwicklung. Jeder schlägt einen eigenen Weg ein und innerhalb kürzester Zeit entstehen Stile, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Ganz zu schweigen vom aufkommenden Jazz, der in dieser Zeit erstmals der Klassik begegnet. Die 20er Jahre sind aber auch die Zeit der Nationalisierung und Internationalisierung. Auf der einen Seite herrscht nach dem Krieg eine neue nationale Ordnung, zugleich pulsiert das Leben in Großstädten wie Berlin. Die mit 4,3 Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt der Welt zieht Menschen aus ganz Europa geradezu magisch an. "Jeder einmal in Berlin!" lautet der 1928 entstandene weltweit erste Werbeslogan für Stadttourismus.

Edutainment-Videos mit Erina Yashima und Sir Simon Rattle

Die Dirigentin Erina Yashima | Bildquelle: Todd Rosenberg In fünf Videos reist die Dirigentin Erina Yashima zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in die Zeit zurück. | Bildquelle: Todd Rosenberg Am Anfang des Programmschwerpunktes stehen fünf Videos der jungen Dirigentin Erina Yashima mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Gemeinsam reisen sie unter dem Titel "Musik im Aufbruch" in die Zeit zurück und stellen musikalische Meilensteine der 1920er Jahre vor. Eine Reise, die tief hinein in den Musikkosmos der damaligen Zeit führt, die aber auch immer wieder ins Heute schaut. Das neue Format der sogenannten "Edutainment-Videos" soll dabei Information und Unterhaltung miteinander verbinden. Während Sir Simon Rattle die Schirmherrschaft dieser Videoreihe übernimmt, nimmt mit Erina Yashima eine junge und erfahrene Dirigentin die inhaltlichen Zügel in die Hand – moderativ wie auch am Dirigentenpult. Die Videos erscheinen ab Februar sukzessive in der ARD Mediathek bei ARD Klassik.

"Im Taumel der Zwanziger" – ein Buch von Tobias Bleek

Auch Tobias Bleek unternimmt in seinem Buch "Im Taumel der Zwanziger – Musik in einem Jahr der Extreme" eine Zeitreise in die 1920er Jahre, die sich allerdings noch viel mehr von den politischen und gesellschaftlichen Umständen leiten lässt: Schönbergs Zwölftontechnik als kulturpolitisches Projekt, die Gründung des Bärenreiter-Verlags als "Start up" am Küchentisch oder aber die Frage: Wie lebt es sich in Zeiten der Hyperinflation, wenn eine einzige Konzertkarte 200 Milliarden Mark kostet? Bereits ab Januar präsentiert BR-KLASSIK exklusive Auszüge daraus, bevor es im April beim Bärenreiter-Verlag in Kooperation mit BR-KLASSIK erscheint. Tobias Bleek selbst gibt am 17. Februar in der Sendung "KlassikPlus" einen kleinen Überblick über das Thema und spricht am 4. Mai bei Ludwig Beck in München über die facettenreiche Musik dieser Zeit und was die Entwicklung des Rundfunks mit ihr zu tun hat.

Die Geburtsstunde des öffentlichen Rundfunks

Alles beginnt ganz unspektakulär: in einer Dachkammer eines Bürogebäudes am Potsdamer Platz. Um Punkt acht Uhr abends am 29. Oktober 1923 geht die "Berliner Funkstunde" erstmals auf Sendung – mit den Worten:

"Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Voxhaus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig."

Es ist die Geburtsstunde des öffentlichen Rundfunks. Kurz darauf geht das erste Musikstück über den Äther: das Andantino für Cello und Klavier von Fritz Kreisler. Diese Stunde verändert nicht nur gesellschaftlich, sondern auch musikalisch einiges, denn sowohl für die Produktion als auch für die Rezeption von Musik bieten sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Möglichkeiten, die die Komponisten der Zeit für sich zu nutzen wissen: Schnell entstehen erste Rundfunkmusiken, Komponisten reflektieren über das neue Medium und Ernst Krenek etwa macht das Radio in seiner Oper "Jonny spielt auf" sogar zu einem tragenden Teil der Handlung.

CD-Sondereditionen zu "100 Jahre Rundfunk"

CD-Cover 1923 – Bartók, Krenek, Toch, Weill | Bildquelle: BR-KLASSIK CD-Cover zu "1923 – Bartók, Krenek, Toch, Weill" | Bildquelle: BR-KLASSIK Ein Datum in dieser Zeit ist für uns heute von besonderer Bedeutung: der 29. Oktober 1923 – die Geburtsstunde des öffentlichen Rundfunks und damit der Rundfunkmusiken, Rundfunkorchester und Rundfunkchöre. In zwei CD-Sondereditionen der drei Klangkörper des Bayerischen Rundfunks präsentiert das BR-KLASSIK Label am 20. Januar daher Komponisten dieser Zeit, die von diesen Entwicklungen nicht nur profitiert, sondern sie selbst aktiv mitgestaltet haben: Béla Bartók, Ernst Krenek, Ernst Toch, Kurt Weill und André Caplet. Drei kammermusikalische Werke sowie die Tanz-Suite für Orchester von Bartók finden sich auf der ersten CD zusammen, während auf der zweiten CD das letzte große Werk des französischen Komponisten André Caplet erscheint, das er Jahr 1923 komponierte: "Le miroir de Jésus. Mystères du rosaire" (Der Spiegel Jesu. Mysterien des Rosenkranzes).

Sondersendungen auf BR-KLASSIK

Die Fülle an Innovationen, bedeutenden Werken und Schlüsselmomenten selbst in einem jahresfüllenden Programmschwerpunkt unterzubringen, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit und dennoch lässt sich durch über das Jahr hinweg verteilte Sondersendungen überall ein kleiner Blick hineinwerfen: In regelmäßigen Abständen widmet BR-KLASSIK seine Radiosendungen ganz den Jahren um 1923. Dazu gehören nicht nur Opern- oder Konzertübertragungen, sondern auch Sendungen wie "Musik der Welt", "Jazztime", "con passione", "KlassikPlus", "Das Musik-Feature", Interpretationsvergleiche oder die kleine Rubrik "Was heute geschah", bei der die Autorinnen und Autoren nach dem Motto "Heute vor hundert Jahren" an Schlüsseldaten der Musikgeschichte zurückreisen.

Sendungen im Überlick

Einen Überblick über alle Sendungen der kommenden Wochen zum Thema "Der wilde Sound der 20er" finden Sie am Ende dieses Artikels. Und Wissenswertes rund um die Musik der 1920er Jahre, Edutainment-Videos zu Schlüsselwerken und Musik der Epoche finden Sie hier im BR-KLASSIK-Dossier

Konzerte, Konzerte und nochmals Konzerte

So bunt das Leben der damaligen Zeit war, so vielfältig war auch deren Musik. Evergreens wie "Mein kleiner grüner Kaktus", Zwölftonmusik von Arnold Schönberg, Jazz und Blues, nationale Volksmusik von Béla Bartók – eine Liste, die noch ewig so weitergehen könnte und der die Klangkörper und Konzertreihen des Bayerischen Rundfunks in zahlreichen Konzerten versuchen gerecht zu werden.

Zwei Konzerte des BR-Chor

Chor des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: © Astrid Ackermann / BR Der Chor des Bayerischen Rundfunks widmet gleich zwei seiner Konzerte im Frühjahr den Jahren um 1923. | Bildquelle: © Astrid Ackermann / BR Den Anfang macht der BR-Chor unter der Leitung von Peter Dijkstra am 21. Januar mit einer Mischung aus Evergreens wie "I got Rhythm" oder "Veronika, der Lenz ist da" und klassischer, intimer, aber nicht weniger bekannter Salonmusik – allen voran: Brahms' Liebesliederwalzer mit Max Hanft und Gerold Huber am Klavier. Doch die 1920er Jahre haben noch viel mehr zu bieten als das, was wir alle schon kennen. Nur knapp einen Monat später widmet sich der BR-Chor daher einem eher unbekannten Komponisten dieser Zeit: Maximilian Ossejewitsch Steinberg. Seine "Passionswoche" aus dem Jahr 1923 ist das letzte große sakrale Werk in Russland nach der Oktoberrevolution. Als Schüler von Rimskij-Korsakow und Lehrer von Schostakowitsch gehört Steinberg zu einer Zwischengeneration, deren Musik heute erst einmal wiederentdeckt werden muss. Doch auch er ist der Sound der 20er Jahre. Das Konzert am 18. Februar, geleitet von Julia Selina Blank, wird im Videolivestream und auf BR-Klassik übertragen.

Studiokonzerte im Zeichen des 20. Jhds.

Bereits im vergangenen Jahr haben sich die Studiokonzerte ganz dem Beginn des 20. Jahrhunderts verschrieben, nun setzt sich diese Reihe weiter fort. Am 14. März präsentiert das Schumann Quartett drei Streichquartette aus drei unterschiedlichen Welten: Was Leoš Janáček, Erwin Schulhoff und Aaron Copland fast zeitgleich im Jahr 1923 komponieren, könnte unterschiedlicher nicht sein. Ihre Werke verkörpern eine neue Epoche, die nach Experiment, Individualität und Unverwechselbarkeit dürstet. Ihnen gegenüber steht das Streichquartett von Alban Berg op. 3, das er zwar bereits 1910 komponiert hatte, aber das erst 1923 seinen Durchbruch erlebte. Diese Experimentierlust der Zeit zeigt sich zwei Monate später, am 2. Mai, ein zweites Mal in den Studiokonzerten. Das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen hat dafür ein Programm zusammengestellt mit gut einem Dutzend Komponisten, die die unterschiedlichen künstlerischen Strömungen der Zeit repräsentieren – von romantischem Wohlklang bis zu atonaler Konstruktion, von überbordender Opulenz bis zu sachlicher Strenge.

Jubliläumskonzert des Münchner Rundfunkorchesters

Ein Highlight unter vielen: das Jubiläumskonzert des Münchner Rundfunkorchester zu "100 Jahre Rundfunk". Am 29. März stehen sich hier im Prinzregententheater zwei Rundfunkmusiken einander gegenüber. Während Hanns Eisler sich in seiner Rundfunkkantate "Tempo der Zeit" eher kritisch gegenüber dem neuen Genre und der Technikbegeisterung seiner Zeit äußert, zeigt sich bei Eduard Künnekes "Tänzerischer Suite" ungebremste Lebensfreude, wenn sich Orchester und Jazzband gegenseitig die Bälle zuwerfen. Denn für ihn unterscheidet der Rhythmus in der Musik die neue von der alten Zeit.

Weitere Konzerte

Weitere Konzerte zum Thema "Der wilde Sound der 20er" finden Sie in den Programmen der jeweiligen Klangkörper und Konzertreihen.

Let's swing!

Ginger Rogers und Fred Astaire in "Swing Time" | Bildquelle: picture alliance/United Archives In den Goldenen Zwanzigern fliegen in den Tanzlokalen die Beine und Arme nur so. | Bildquelle: picture alliance/United Archives Weitaus größerer Beliebtheit als die Ernste Musik erfreut sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts – zumindest in der breiten Masse – die Unterhaltungsmusik. Ist es doch sie, zu der in den Tanzlokalen die Beine fliegen und die den Menschen das Gefühl der Freiheit verleiht. Jazz und Blues boomen und verschmelzen sogar teilweise mit der etwas ernsteren Kunstmusik, etwa in den Rundfunkmusiken. Im zweiten Halbjahr des Programmschwerpunktes verschiebt sich somit der Fokus in Richtung des Jazz. Bereits im Frühjahr beginnt eine "Chronik des Jazz" zu Highlights der Roaring Twenties. Einmal im Monat stellt Marcus Woelfle hier in der "Jazztime" die Spitzenreiter des Jahres 1923 aus den Bereichen Blues und Jazz vor: Louis Armstrong, Bessie Smith, King Oliver, Jelly Roll Morton, Sidney Bechet – sie alle haben neue Stile erschaffen, erlangten mit ihnen große Popularität und wurden schließlich erstmals aufgenommen. Wie sie gelebt haben, wie sie klangen, all dem geht Marcus Woelfle auf den Grund.

Videoformat zur Emanzipation schwarzer Frauen

So leicht und großartig der Aufschwung des Jazz und der Unterhaltungsmusik auch klingt, so eng war er doch mit Rassismus, Genderdiskriminierung und kultureller Marginalisierung verbunden. Themen, die uns bis heute beschäftigen. Und dennoch ist es den afroamerikanischen Musikerinnen und Musiker trotz dieser Umstände im frühen 20. Jahrhundert gelungen, zwei der erfolgreichsten Musikstile zu kreieren und zu etablieren, die schließlich sogar zur Grundlage der US-amerikanischen Popkultur geworden sind: Blues und Jazz.

In einem neuen Videoformat möchte sich der Host David Mayonga – Radiomoderator, Buchautor und unter dem Namen Roger Rekless als Musiker bekannt – den schwarzen Musikerinnen der Zeit nähern. Am Beispiel einzelner ihrer Songs schaut er zusammen mit der Jazzsängerin Eva Ahoulou und dem Jazzpianisten Matthias Bublath, wie diese Songs entstanden sind, wie die Frauen ihren Platz auf der Bühne gefunden haben und was sich in den 100 Jahren zwischen 1923 und heute getan hat – oder eben auch nicht. Die Folgen werden ab Oktober in der ARD Mediathek veröffentlicht.

Bühne frei im Studio 2

Zu guter Letzt heißt es in der Jazzkonzertreihe "Bühne frei im Studio 2" noch einmal so richtig: Let's swing! An zwei Abenden, 25. Oktober und 22. November, werden hier alle Zeichen auf 1923 gestellt. Das Publikum erlebt den Jazz der 1920er live mit und kann in einer ganz eigenen Zeitreise der besonderen Atmosphäre dieser Zeit nachspüren.

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