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Der wilde Sound der 20er

Yaara Tal und Andreas Groethuysen Zwei für die Zwanziger

Musik aus den "Wilden Zwanzigern", die steht bei Yaara Tal und Andreas Groethuysen momentan ganz oben auf dem Notenpult. Das Klavierduo bereitet sich aktuell nämlich auf einen Auftritt im BR-Funkhaus vor. Mehr im BR-KLASSIK-Interview.

Yaara Tal, Andreas Groethuysen | Bildquelle: © Michael Leis

Bildquelle: © Michael Leis

BR-KLASSIK: Gemeinsam einsam – könnt Ihr so Eure langjährige Duoarbeit beschreiben oder trifft das gar nicht zu?

Andreas Groethuysen: "Gemeinsam" finde ich ganz passend, einsam haben wir uns eigentlich dabei nie gefühlt. Einsam fühlt man sich, wenn man allein am Klavier sitzt, vor allem Yaara hat das gar nicht so gerne.

BR-KLASSIK: Wo fühlt Ihr Euch denn wohler: vierhändig an einem Instrument oder verteilt an zwei Flügeln?

Yaara Tal: An einem Klavier! Ich glaube, diese Nähe ist etwas, das uns Beiden sehr gut gefällt. Oder ist es nicht mehr so bei dir?

Andreas Groethuysen: Doch, das ist schon so und war auch so als wir als Duo angefangen haben. In den ersten zehn Jahren haben wir in erster Linie vierhändig gespielt. Erst dann sind wir auf die zwei Klaviere umgestiegen und dadurch hat sich auch eine stärkere Vertrautheit mit dieser Situation ergeben. Wir haben jedoch das Gefühl, dass wir an einem Instrument besonders gut unsere Möglichkeiten zusammenbringen.

Yaara Tal: Ich finde es auch schön, wenn man so nah beieinander musiziert. Wenn man an zwei Klavieren spielt, liegt zwischen den Spielenden drei Meter Entfernung, lauter Holz und Metall. Das gilt es, zu überwinden. Da ist es doch viel intimer, wenn man neben einander sitzt und gemeinsam im Klang kuschelt und verschmelzen kann. An zwei Klavieren ist es vielleicht ein wenig aufregender.

Yaara Tal und Andreas Groethuysen im BR-KLASSIK-Studiokonzert

Eine ausführliche Fassung dieses Interviews hören Sie im Rahmen der Radio-Liveübertragung des BR-KLASSIk Studiokonzerts mit Yaara Tal und Andreas Groethuysen am Dienstag den 9. Mai ab 20.05 Uhr auf BR-KLASSIK. Schon früher, nämlich am Donnerstag den 4. Mai, ist Yaara Tal im Kaufhaus Ludwig Beck zu erleben. An ihrer Seite an diesem Abend: der Musikwissenschaftler Tobias Bleek, der sein Buch "Im Taumel der Zwanziger" vorstellt. Los geht's um 18 Uhr.

Erst provisorisch, dann professionell: Geschichte des Klavierduos

BR-KLASSIK: Mit einem einzigen Konzert 1985 wurde aus einem "provisorischen Klavierduo" nun eine schon fast 40jährige Partnerschaft. Wie wurde aus dem Provisorium Professionalität? Was ist da passiert?

Andreas Groethuysen: Wir waren ja zunächst Beide solistisch unterwegs. Aber meine damalige Agentin fand das unpassend, dass jeder so sein Ding macht. Und sie dachte, dass wir uns persönlich gut tun, wenn wir unsere Möglichkeiten bündeln. Sie hat uns dann einfach ein provisorisches Konzert besorgt. So haben wir uns Gedanken gemacht, ein Programm recherchiert und bei dieser Vorbereitung festgestellt, dass es uns eigentlich relativ leicht von der Hand geht. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass Yaara schon von Kind an sehr viel Erfahrung hatte, weil sie mit ihrem Lehrer viel vierhändig gespielt hat und das für sie sehr natürlich war. Nach dem Konzert haben wir entschieden, dass wir als Duo weiterarbeiten wollen, vor allem auch, weil wir bei der Recherche sehr viel Musik gefunden haben, die wir gar nicht kannten und die uns gereizt hat.

BR-KLASSIK: Gibt es eine prinzipielle Arbeitsteilung oder klärt Ihr das fallweise, dass sich jemand von Euch recherchierend um das Programm kümmert, der andere mehr um Organisation und Kommunikation?

Yaara Tal: Am Anfang hat vor allem Andreas recherchiert. Da gab es ja noch kein Internet. Das heißt: Das war wirklich Fußarbeit. Man ging in eine Bibliothek, saß dort und hat den Katalog studiert. Auch unsere Reisen waren damit verbunden. Mittlerweile liegt die Recherche mehr bei mir, sowohl für unser Duo als auch für meine solistische Arbeit. Was die Organisation betrifft, hatten wir bald eine Agentur, die uns unterstützt hat.

Andreas Groethuysen: Trotzdem war am Beginn die Kommunikation in erster Linie Yaaras Domäne. Sie war pragmatischer und hat auch die Notwendigkeit viel klarer gesehen und gewusst, wenn ich da jetzt nichts mache, dann geschieht auch nichts.

Yaara Tal: Vor allem war ich etwas robuster bei Absagen. Ich nehme das nicht persönlich. Wenn ich abgewiesen werde, dann habe ich Pech und vielleicht auch eine andere Person, die mich abgewiesen hat. Das ist vielleicht Pragmatismus.

Recherche zum 20er-Programm

BR-KLASSIK: Apropos Recherche – im Studiokonzert kommt Musik aus den 1920er zum Klingen, die kaum jemand kennt. Wie seid Ihr auf diese Stücke gestoßen? Wie zielgerichtet fokussiert auf diese Zeit und das Jahr 1923 habt Ihr gesucht?

Yaara Tal: Der Autor und Musikwissenschaftler Tobias Bleek hat mich zum Recherchieren angeregt, weil er meinte, dass es sich lohnen würde. Er war auch selbst in der Recherche für sein Buch, das er jetzt publiziert hat. Zunächst wusste ich mit dem Thema nicht besonders viel anzufangen. Ich war eigentlich beim Planen einer anderen CD. Aber da er ein guter Freund ist, habe ich ihm zuliebe angefangen und mir ungefähr drei Monate Zeit zum Prüfen gelassen. Dabei habe ich allmählich gemerkt, dass es einiges gibt und die Recherche vertieft. Nach einem guten halben Jahr konnte ich sagen, ja okay, ich mache eine CD, weil ich glaube, dass es sehr viel Material gibt. Ich habe auch nachvollzogen, dass ich bereits in meiner Kindheit einige dieser Stücke gespielt habe. Also es gab in meiner eigenen musikalischen Biografie einen Ankerpunkt. Mein erster Klavierlehrer hatte immer noch Noten, die er aus Europa nach Israel mitgebracht hatte, beispielsweise Musik von Joseph Achron oder Émile-Jaques Dalcroze. Ab und zu gab es im Radio irgendein interessantes Stück. Da hat er mich zu sich nach Hause eingeladen, und wir haben gemeinsam mit den Noten in der Hand z.B. Alban Bergs Sonate gehört. Also ich wurde schon als Kind in diese Tradition der klassische Moderne eingeweiht. Jetzt ist das ein Weg "back to the roots". Meine Mutter ist auch 1923 geboren. Ich dachte also, das ist ein Wink des Schicksals.

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Wissenswertes rund um die Musik der 1920er Jahre, Edutainment-Videos zu Schlüsselwerken und Musik der Epoche finden Sie hier im BR-KLASSIK-Dossier

Diversität als Auswahlkriterium

BR-KLASSIK: Der Bogen im Konzertprogramm ist weit gespannt: Bekanntere Komponistennamen wie etwa Janacek oder Respighi stehen unbekannteren Namen gegenüber. Gibt es dennoch einen gemeinsamen Nenner?

Yaara Tal: Diversität ist ein Thema, ganz aktuell! Ich meine, dass das damals erlebbar wurde, ohne es so zu benennen. Die Vielfalt der Musik dieser Zeit beweist, dass sehr viele Strömungen nebeneinander existierten und alle gleichberechtigt waren. Aus heutiger Sicht erst recht. Schönberg galt als der Pionier. Er hat 1923 sein erstes zwölfttöniges Stück vorgelegt und damit im Prinzip einen Aufbruch in eine neue Zeit eingeleitet. So ist dieses Jahr 1923 musikalisch gesehen eines der bedeutendsten Jahre im 20. Jahrhundert mit Nachwirkungen bis zum heutigen Tag.

Andreas Groethuysen: Wir spielen zum Beispiel Musik von Fritz Heinrich Klein, ein vierhändiges Stück, das "Maschine" heißt. Damals waren Maschinen natürlich riesige Objekte. Man denke an Filme wie "Metropolis", und es klingt auch so ein bisschen wie Musik für den Stummfilm. Heute ist KI die neue Maschine, stellvertretend und wieder repräsentativ für einen Aufbruch in eine neue Zeit, in der Maschinen unser Leben nicht weniger beeinflussen und bestimmen werden. Denn ich glaube, damals war die Angst vor der Maschine und zugleich die Faszination in gewisser Weise genauso groß. Inflation, Hyperinflation, Unsicherheit, Krieg in Europa – all das ist leider immer noch oder wieder sehr aktuell. Ich glaube, die Zeiten waren nicht so unähnlich.

Kinderstücke zum Schluss

BR-KLASSIK: Schlusspunkt in Eurem Programm sind sechs Piccoli Pezzi von Respighi. Das ist fast eine kindlich anmutende Musik, eine Art Rückblick…

Andreas Groethuysen: Ja, das sind eindeutig Kinderstücke. Ich glaube, sie hatten ursprünglich auch mal einen anderen Titel, in dem auch das Kind ausdrücklich vorkam. Sie sind im Hinblick auf kindliche Erfahrungswelten konzipiert, zugleich sind sie aber auch ziemlich elaboriert. Ich finde sie harmonisch sehr raffiniert und in gewisser Weise auch anspruchsvoll. Eine Romanze für ein Kind? Das könnte man sich einfacher vorstellen, und es wirkt hier relativ sophisticated.

Yaara Tal: Der obere Spieler – in diesem Fall bin ich das – hat eine viel leichtere Rolle als das Secondo. Es könnte also auch für ein Kind geschrieben sein, das vom Lehrer begleitet wird.

Andreas Groethuysen: Unbedingt! Und ich denke wieder an deinen Lehrer. Ich finde das wirklich bemerkenswert, dass Yaaras Lehrer mit ihr als Kind solche Sachen gespielt hat. Ich kann mir das heute kaum vorstellen, dass man jemanden findet, der einem Kind so etwas anbietet oder gar "zumutet".

Yaara Tal: Beim Recherchieren habe ich eine Fülle von vierhändigen "kindlichen" Werken gefunden, also Stücke für das Kind. Ich glaube, das ist auch eine Tendenz dieser Zeit um 1923 herum. Im Zuge des Ersten Weltkriegs sind viele Hoffnungen und Ziele zerstört worden. Familien hatten Tote zu beklagen. Einige zogen sich ins Familiäre zurück, ins Haus als schützender Höhle, widmeten sich der Familie, der Kinderliebe und der Kindererziehung. Und vielleicht haben einige Komponisten darauf reagiert und komponiert. Ich denke an Stücke von Martinu, Schulhoff, Bloch oder Delius. Von allen gibt es wunderbare Stücke. Jedenfalls war das in meinen Augen auch eine Tendenz der damaligen Zeit. Heutzutage gibt es so was in der Fülle nicht mehr.

Kommentare (1)

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Mittwoch, 03.Mai, 16:38 Uhr

Alfons Schmid

Wunderbar!

Vielen Dank, daß Sie dieses wunderbare Duo zum Studiokonzert einladen. Für mich sind die beiden das beste Klavierduo seit den Kontarskys.

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