Seit über fünf Jahrzehnten ist Songpoet und Gitarrist Caetano Veloso eine Ikone und seine Stimme ist eine der elegantesten, die es in der populären Musik Brasiliens gibt. Während der Militärdiktatur kam er in seiner Heimat aber sogar ins Gefängnis. Am 7. August wird Caetano Veloso 80 Jahre alt.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar setzte ihm ein schönes Denkmal. In dem Film "Sprich mit ihr" (Hable con ella) aus dem Jahr 2002 ist Caetano Veloso zu sehen, wie er das Lied "Cucurrucucú paloma" singt, jenen bewegenden mexikanischen Sehnsuchts-Seufzer über eine verstorbene Geliebte. Gebannt lauschen die Zuhörer in einem Raum, gruppiert um das Orchester des Cellisten Jaques Morelenbaum – und mitten unter den Musikern, auf einem schlichten Stuhl, der Sänger.
So zärtlich und hingebungsvoll wie Caetano Veloso in dieser Szene hat zuvor wohl nie jemand dieses Lied gesungen, in seiner Interpretation mit hell-schwebender Stimme und fesselnd leisem Gefühl, erhält es eine faszinierende Aura. "Wer da nicht weint, ist tot", schrieb damals das Magazin "Der Spiegel" über diese Film-Szene. Eine treffende Formulierung für die Gefühle, die der Sänger hervorrufen kann, der mit einer besonders schönen und beseelten Stimme seit über fünf Jahrzehnten zu berühren weiß. Und das offenbar ungebrochen. Sein musikalischer Partner Jaques Morelenbaum nannte ihn einmal den "jüngsten Übersechzigjährigen Brasiliens".
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Caetano Veloso Cucurrucucu Paloma (Hable Con Ella)
Dieser Sänger-Poet gewann bisher 21 Latin-Grammys. Darüber hinaus ist er bei den allgemeinen Grammys mit zwei Siegen und vier Nominierungen vertreten. Der Journalist Luiz Carlos Maciel vergleicht Veloso mit Bob Dylan und John Lennon, da er wie sie eine ganze Generation repräsentiere. Auch wegen seiner literarisch anspruchsvollen Texte wurde Veloso mit Dylan und auch mit Leonard Cohen verglichen. Fest steht: Als Songpoet ging es ihm immer auch um den lautmalerischen Klang und die schillernde Bedeutung von Worten. Seine eigenen Songs schreibt er auf Portugiesisch, er hat aber auf mehreren Alben auch spanischsprachige Klassiker interpretiert.
Am 7. August 1942 wurde Caetano Emanuel Viana Teles Veloso in dem nordöstlichen brasilianischen Bundesstaat Bahia geboren. Er war das fünfte von sieben Kindern seiner wohlhabenden Eltern, die zwei weitere Kinder adoptierten. Der Vater war Regierungsbeamter, die Familie lebte in einem Haus in der kleinen Stadt Santo Amaro im Bundesstaat Bahia. Musik spielte eine große Rolle. Auch seine vier Jahre jüngere Schwester Maria Bethânia ist eine international berühmte Sängerin und Songschreiberin geworden.
Mit siebzehn hörte Caetano Veloso zum ersten Mal Aufnahmen des Bossa-Nova-Sängers und -Gitarristen João Gilberto: jenes Interpreten, dessen Gesang einem zärtlich-kunstvollen Flüstern ähnelte. Ihn bezeichnet Veloso als den "größten Meister". Und Gilbertos Musik inspirierte ihn dazu, selbst Musiker zu werden. Zunächst zog er in die Küstenstadt Salvador da Bahia, einst auch Wohnort von João Gilberto, später nach Rio de Janeiro. Dort gewann er 1965 einen Preis für den Text einer seiner Kompositionen ("Um dia"), bekam einen Vertrag bei der Plattenfirma Philips und wurde zwei Jahre später bei einem großen Festival für seinen Song "Alegria, Alegria" gefeiert.
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Caetano Veloso - Alegria, Alegria
"Ich gehe gegen den Wind
Ohne Halstuch, ohne Dokumente
Unter einer Sonne wie im Dezember
Gehe ich.
Die Sonne verteilt sich auf Verbrechen,
Raumschiffe und Guerillas …
Auf Gesichter von Präsidenten
Auf lange Liebesküsse
Auf Zähne, Beine, Flaggen
Die Bombe und Brigitte Bardot."
(Caetano Veloso, "Alegria, Alegria")
Bildquelle: Fernanda Negrini/Universal Music Kurze Zeit nach dem Erfolg mit "Alegria, Alegria", dem in Brasilien vermutlich immer noch populärsten Song Caetano Velosos, begründete er zusammen mit seinem Weggefährten Gilberto Gil eine neue Musikrichtung: den Tropicalismo oder Tropicália. Diese musikalisch-künstlerische Bewegung wurzelte im Protest gegen die repressive Politik nach dem Militärputsch von 1964. Musikalisch griff der um 1968 entstandene Tropicalismo auf psychedelische Rockmusik ebenso zurück wie auf Bossa Nova – denn Veloso und Gilberto Gil waren stark beeinflusst von der englischsprachigen Pop- und Rockmusik. Gil begeisterte sich für Jimi Hendrix, Veloso für die Beatles. Mit ihren neuen Sounds, die traditionelle Samba-Klänge kreativ durchmischten, eckten die Künstler an, beim Publikum – und bei der Politik.
1968 war es, auf einem Festival, während des Songs "E proibido proibir" (Es ist verboten zu verbieten), da pfiff das Publikum Caetano Veloso so laut aus, dass er mitten im Lied abbrechen musste. "Ich trug Kleidung aus Plastik in Grün und Schwarz, meine Brust bedeckten ein dicker Schmuck aus Stromkabeln, an deren Ende noch die Stecker hingen, und kräftige Ketten mit Tierzähnen", beschreibt Veloso in seinem Buch "Tropical truth" diesen Auftritt in einem unorthodoxen Look mit der Band "Os Mutantes". Sein Haar, so erzählt er weiter, "war sehr lang und seiner eigenen rebellischen Lockigkeit überlassen".
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CAETANO VELOSO E OS MUTANTES É PROIBIDO PROIBIR. (DISCURSO LEGENDADO)
Ungehalten reagierte Veloso damals auf die Buh-Rufe des Publikums. Spontan hielt er eine Rede: "Ihr seid also die jungen Leute, die sagen, sie wollen an die Macht! Wenn Ihr politisch genauso drauf seid wie musikalisch, dann sind wir erledigt!" Es waren vor allem linksgerichtete Studenten, die den Tropicalismus ablehnten, weil sie diese Musik für kommerzialisiert hielten.
Brodelnd und bedrohlich fanden die, die das Sagen hatten in der Militärdiktatur in Brasilien, die Musik von Veloso und Gil. Wegen der "hinterhältigen subversiven Kraft", die von ihren Tönen ausging, steckten sie die beiden Sänger 1969 ins Gefängnis. Als sie wieder freigelassen wurden, gingen sie ins Exil nach London. Veloso und Gil gingen 1972 zurück in ihr Heimatland Brasilien, obwohl dieses autoritäre Regime dort weiter existierte.
In den folgenden Jahrzehnten hat Caetano Veloso, dieser aufrechte Sänger mit der sanften Stimme, eine herausragende Karriere gemacht: Er nahm etliche Alben auf und wurde gefeiert in zahlreichen Konzerten. Viele seiner Songs sind zu Klassikern geworden, dabei schloss sich Veloso nie dem Geschmack der Mehrheit an. Die provokativen Klang-Experimente der Zeit mit "Os Mutantes" waren später nicht mehr der Sound, mit dem man ihn identifizierte. Seine Musik wurde immer lyrischer; sie springt unmittelbar an, groovt zart und swingt – mit unwiderstehlichem brasilianischen Touch. Seit vielen Jahren begleitet sich Veloso stets auf einer akustischen Gitarre. Gerade in leisen Stücken entwickelt seine Musik eine starke Ausdruckskraft und berückende Intensität. Es sind Songs von besonderer Schönheit und großer Tiefgründigkeit. Ein Glanzstück ist "O Leãozinho" (Der kleine Löwe), eine Hommage an einen Mitmusiker, der seine lockigen Haare schulterlang trug und dessen Sternzeichen Löwe ist – mit eine der schönsten Melodien Velosos.
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Caetano Veloso, Maria Gadú - O Leãozinho
Der hagere Mann mit den silbergrauen, leicht gelockten Haaren gibt regelmäßig Konzerte, in seinem Heimatland Brasilien wie auch in Deutschland. Zuletzt: Im August 2021 in der Hamburger Elbphilharmonie und davor, im Sommer 2019 im Berliner Tempodrom, mit seinen Söhnen Moreno, Zeca und Tom.
Mit seinem bedeutenden Weggefährten Gilberto Gil steht Veloso in enger Verbindung. Gil ist nicht nur ein großartiger Musiker. Von 2003 bis 2008 war er der erste afrobrasilianische Kulturminister seines Landes, unter Präsident Lula da Silva. Gil und Veloso sind beide gleich alt – Gil feierte bereits am 26. Juni seinen 80. Geburtstag. "Two Friends, One Century of Music": Unter diesem Titel haben Veloso und Gil 2016 ein Live-Album veröffentlicht, das präsentiert die beiden Freunde in Gemeinsamkeit und erzählt gleichzeitig durch die unterschiedlichen Songs sehr viel Geschichte.
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Caetano Veloso, Gilberto Gil - Terra (Vídeo Ao Vivo)
Zwei Heroen brasilianischer Kultur – die so innig-wohlklingenden und zugleich gesellschaftlich bedeutenden Stimmen dieser beiden wichtigen Gestalten sind eine enorme Bereicherung für die populäre brasilianische Musik (Música popular brasileira, auch genannt MBP). Längst ist ihre Musik ein klassischer Klang Brasiliens geworden. Über den Sound zu Beginn des Tropicalismus sagt Veloso in dem Buch "Tropical Truth": "Es war unumgänglich, dass Kunst sich furchterregend und schwierig zeigte. An Velázquez, Mozart oder an Dante kommt man nicht unversehrt vorbei." Wenn jemand, der eine so schöne Stimme hat, sich selbst in die Riege sehr großer Klassiker einordnet, kann man ihm das ohne weiteres nachsehen. In einer Hinsicht hat er unbedingt recht: Elegant-leise Töne wie seine gehören zur musikalischen Hochkultur. Nicht nur in Brasilien.
ARD Radiofestival 2022: Jazz am 8. August um 23:30 Uhr
Eleganz und leiser Poet: Sänger, Gitarrist und Songwriter Caetano Veloso wird 80
Eine Sendung von Beatrix Gillmann
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