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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 32 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 32. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Cover - Kathrine Windfeld Sextet: Aldebaran | Bildquelle: Stunt Records

Bildquelle: Stunt Records

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 32" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum zweiunddreißigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Kathrine Windfeld Sextet: "Aldebaran" (Stunt Records)

"Aldebaran" ist ein besonders hell leuchtender Stern. Und die Töne der dänischen Jazzmusikerin Kathrine Windfeld - die ihr neues Album nach diesem Stern benannt hat - strahlen ebenfalls aus vielen anderen heraus. Die 1984 geborene Komponistin und Bandleaderin hat eine exzellente 15-köpfige Bigband (mit der sie 2023 beim Jazzsommer Augsburg ein aufregend starkes Konzert gab). Auf dem aktuellen Album "Aldebaran" ist sie hingegen in einer Sextettbesetzung zu hören: Drei Blas-Instrumente, Bass, Schlagzeug und Klavier treffen in dieser Band aufeinander – und verschmelzen ausdrucksvoll miteinander. Faszinierend setzt Kathrine Windfeld in den Stücken dieses Albums (alles Kompositionen und Arrangements von ihr selbstI) die Bläserstimmen ein: Zwei Saxophone und eine Trompete verschränken sich, streben wieder auseinander und mischen sich farblich ungemein reizvoll. Das Sextett ist für Kathrine Windfeld laut einem Zitat im Booklet keine reduzierte Bigband, sondern "etwas völlig anderes". Das Sextett sei "ein nackteres Format, in dem die individuellen Stimmen mit rasiermesserscharfer Klarheit leuchten können". Und sie selbst könne sich am Klavier mehr entfalten. Das alles hört man auch - in Stücken, die einen atmosphärischen Sog entwickeln. Besondere Kompositionen: "Sea Widow", worin Kathrine Windfeld die Vorstellung von unversehrten Tiefsee-Bereichen wecken möchte, und "Letter to Lviv", eine musikalische Erinnerung an eine Reise in die Ukraine vor dem Februar 2022. Die Instrumentalisten in dem Sextett sind allesamt bemerkenswert: Tomasz Dabrowski, Trompete; Hannes Bennich, Alt- und Sopransax; Marek Konarski, Tenorsax; Johannes Vahnt; Bass; Henrik Holst Hansen, Schlagzeug; Kathrine Windfeld, Klavier. Hören, eintauchen und eine schillernd-vielfarbige Musik entdecken!

Plurism: "Uhmlangano" (Unit Records)

Cover - Plurism: Umhlangano | Bildquelle: Unit Records Bildquelle: Unit Records "Uhmlangano" bedeutet "Treffen" oder "Begegnung" in der Sprache der Zulu und in der Band "Plurism" des Schlagzeugers Dominic Egli trifft eine Schweizer Rhythmusgruppe mit Kontrabassist Raffaele Bossard und Bandleader Egli auf drei herausragende südafrikanische Jazzer unterschiedlicher Generation: Tenorsaxophonist Sisonke Xonti, Altsaxophonist Mthunzi Mvubu und Trompeter Feya Faku.
Roh, ungeschliffen, pulsierend und energiegeladen ist die Musik des Quintetts. Riffartige Bläsersätze, zupackende Soli und klangverliebte Melodien, all das hört man auf dem Album "Uhmlangano" - eine lustvolle Feier des Lebens. Aber zwischen den Tönen steckt eine Botschaft, die über Fröhlichkeit hinausgeht, die mit Menschlichkeit zu tun hat. Dominic Eglis Komposition "Trumpets for Captain Rackete" ist eine Widmung an die Kapitänin des Schiffs "Sea Watch 3" Carola Rackete, die im Jahr 2019 nach zwei Wochen vor dem Hafen der italienischen Stadt Lampedusa mit mehr als 40 Geflüchteten an Bord verbotenerweise in den Hafen eingefahren war. Wahrscheinlich konnte sie dadurch Leben der Geflüchteten retten, aber von der italienischen Regierung wurde Rackete angezeigt. Die Band "Plurism" feiert das Miteinander. Jazz mit verbindender Kraft, der Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringt, gibt es auf "Uhmlangano" zu hören, herausragend und mitreißend gespielt - ein Album, das Hör-Freude bringt und zum Nachdenken anregt!

Shabaka: "Perceive its beauty, acknowledge its grace" (Impulse! Records/Universal Music)             

Cover - Shabaka: Percieve its Beauty, Acknowledge its Grace | Bildquelle: Impulse Records Bildquelle: Impulse Records Selbst wenn man weiß, dass er ein klassisches Klarinettenstudium absolviert hat, würden sicherlich die meisten seiner Fans nicht darauf kommen, dass Shabaka Hutchings hinter den schwebenden, samtweichen Tönen beim Opener des Albums steckt. Denn bekannt und berühmt geworden ist der inzwischen 40 Jahre alte, englische Musiker mit afrikanisch-karibischen Wurzeln nicht als Klarinettist und schon gar nicht als Flötist, als den man ihn auf den restlichen zehn Titeln des Albums erlebt, sondern als Mastermind und Tenorsaxofon spielender Motor der Band "Sons of Kemet". Da erschuf er mit seinem kraftvollen, von Zirkularatmung befeuerten Spiel zusammen mit dem Tubisten Theon Cross und gleich zwei Schlagzeugern tranceartige Groove-Mantras, in denen sich Band und Publikum gleichermaßen verausgabten, um zu neuen Wahrnehmungs- und Empfindungsebenen vorzudringen. Um die geht es Shabaka Hutchings sicherlich auch jetzt. Aber die Mittel, die er einsetzt, um an die tiefer liegenden Schichten des Bewusstseins zu kommen und sie in Musik zu fassen, sind nun komplett andere. Harfenklänge von Brandee Younger und Charles Overton, losgelöste Piano-Töne von Jason Moran und Nduduzo Makhathini, zart nuancierte Drums von Nasheet Waits und Marcus Gilmore und der singende Bass von Esperanza Spalding verschmelzen hier in wechselnden Besetzungen und formen sich zusammen mit rätselhaft schönen Gesangs- und Spoken Word Beiträgen und Shabaka Hutchings Spiel auf unterschiedlichen Naturflöten zu eindringlichen musikalischen Beschwörungen der kontemplativen Art. Was klingt wie ein neues Kapitel seiner spirituellen Ahnen-, Gegenwarts- und Zukunftsforschung, wie er sie auch mit seiner Band "Shabaka and the ancestors" und dem Trio "The Comet is Coming" betrieben hat, ist zugleich Einladung an die Hörenden, sich damit auf ihren ganz persönlichen Weg zu den eigenen Ursprüngen zu begeben.

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