16.08.1876: Alfred Pringsheim war ein Mann der allerersten Stunde. Als Wagner-Freund und auch Förderer war er bei der Einweihung des neuens Festpsielhauses mit dabei. Und auch abseits der Bühne stand er seinem Freund bedingungslos zur Seite. Doch Pringsheims selbstloser Einsatz war der Familie Wagner peinlich, nie wieder wurde er nach Wahnfried eingeladen.
Bildquelle: picture-alliance / akg-images
Das Kalenderbaltt anhören
Es war wieder gemütlich, bei "Angermann", in der Kanzleistraße. Der Wirt hatte Stühle auf die Straße gestellt, auf großen Fässern frisch gefüllte Bierkrüge. Oben auf dem Hügel war drei Tage vorher das neue Festspielhaus eingeweiht worden, zum ersten Mal der "Ring" komplett, und unten bei Angermann saßen auch heute wieder Sänger, Musiker, Bühnenarbeiter und die von weit her angereisten Fans des Meisters Richard Wagner. Unter ihnen ein Mann der allerersten Stunde. Alfred Pringsheim, 25, Doktor der Mathematik, ein ausgezeichneter Pianist und schwer reich, er hatte den Bau des Hauses durch den Kauf von gleich drei Patronatsscheinen unterstützt. Schon Wochen vorher war Pringsheim nach Bayreuth gekommen, Wagner persönlich hatte ihm erlaubt, bei den Proben mit dabei zu sein.
Von überall her waren Leute angereist, die mit dabei sein wollten, wenn Wagner sich mit seinem Großprojekt unsterblich blamieren würde. Auch diese Menschen tranken gern bei Angermann ihr Bier, und ließen dabei die eine oder andere Bemerkung fallen. An diesem Abend nannte einer mit lauter Stimme Wagner einen neutönerischen Schwindel, mit einem einzigen Strauß-Walzer könne man die ganze Gesellschaft vom Hügel herunterholen. Alfred Pringsheim verbot dem Mann die respektlose Rede, worauf sich ein weiterer Streiter zu Wort meldete: der berühmte Berliner Professor und Shakespeare-Experte Friedrich August Leo, auch er eigens zur Premiere angereist. Leo fragte Pringsheim, wieviel er denn schon getrunken habe, dass er so einen Unsinn rede, und wenn er nichts vertrüge, solle er es doch lassen.
Die Kellnerin hatte gerade frisch gefüllte Bierkrüge auf die Tische gestellt, und als der Professor Leo zum Doktor Pringsheim sagte, er sei ja nicht einmal satisfaktionsfähig, griff sich Pringsheim einen Krug und schmiß ihn quer über den Tisch dem Professor Leo an den Kopf, so dass der zu Boden ging und aus der Nase blutete. Und während Freunde ihn versorgten, kabelten auch schon die Journalisten an die Redaktionen: "In den Straßen von Bayreuth fließt bereits Blut!" Ein anderer dichtete für sein Blatt den schönen Vers: "Wo sich Aug‘ und Ohren laben, will die Nase auch was haben." Und weil der Krug, den Pringsheim geworfen hatte, bei den Einheimischen "Schoppen" hieß, nannte man Pringsheim fortan den "Schoppenhauer".
Und falls Pringsheim geglaubt haben sollte, Wagner würde ihm seinen selbstlosen Einsatz womöglich danken, da lag er falsch. Der Familie Wagner war die Sache peinlich, und Pringsheim wurde nie wieder nach Wahnfried eingeladen. Man wollte hohe Kunst machen in Bayreuth. Und mit Bierkrügen um sich zu werfen paßt da denkbar schlecht ins Bild.
Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 16. August 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK