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Kostprobe | 13.08.2023 Ex Utero

Was haben Babys mit geistlicher Barockmusik zu tun? Sehr viel, wenn das Konzept stimmt. Das Berliner Vokalensemble "The Present" erweitert den Assoziationsraum für eine Marienvesper: Es verknüpft Kompositionen der Mailänder Nonne Chiara Margarita Cozzolani mit Werken der Neuen Musik, die auch Klangfragmente von Baby- und Kinderstimmen enthalten.

CD-Cover: The Present - Ex Utero | Bildquelle: Col legno

Bildquelle: Col legno

Diese Babylaute setzen den Komplex "Maria mit dem Kinde" in Bezug zum Alltag von jedermann und jederfrau, eine künstlerische Betonung von Leben und Geburt. Das Debutalbum des solistisch besetzen Vokalensembles "The Present" trägt den Titel "Ex Utero". Der Begriff meint etwa "das, was außerhalb der Gebärmutter heranreift", und steckt den hintergründigen thematischen Rahmen ab. Das macht allerdings einen leicht gekünstelten Eindruck und ist trotz des interessanten Blickwinkels vielleicht ein wenig einseitig – doch keine Sorge, die stimmungsvollen Soundcollagen von Hildegard Westerkamp, die Moments of Laughter, berücksichtigen auch die Väter. Und die geistlichen Werke von Chiara Margarita Cozzolani werden in den von ihr selbst veröffentlichten Fassungen für Frauen- und Männerstimmen gesungen.

Maria und ihr Baby

Die eingewobene Neue Musik funktioniert tatsächlich sehr gut, um die Sinne gerade für die Barock-Klänge zu öffnen. Die Kompositionen von Catherine Lamp mit einem einzigen gleichbleibenden Ton pro Stimme, und "Korè" von Michèle Bokanowski für Tonband und Stimmen, entwicklen ihren jeweils ganz eigenen Sog und setzen sich mit verschiedenen Ebenen des Stimmklangs auseinander. Überhaupt scheint sich das Ensemble "The Present" bei den Werken der Neuen Musik so ganz in ihrem Element zu fühlen. Bei den mehrstimmige Psamlvertonungen und teils solistischen Concerti von Chiara Margarita Cozzolani wünscht man sich dagegen durchaus ein wenig mehr an rethorischer Artikulation. Die Continuo-Gruppe, zu der auch Szene-Orginal Lee Santana gehört, ist mit Orgel oder Cembalo, Theorbe und Violone tendenziell etwas basslastig. Dafür wird diese Musik recht fetzig dargeboten, auch hier scheint wieder das allumfassende Thema Leben lebensfroh durch. Außerdem wird eine spezielle Aussprache des Mailänder Lateins dieser Zeit ausprobiert, bei der z.B. einige U-Laute als Ü gesungen werden, was in einer reizvoll ungewohnten Färbung resultiert.

Neue Musik als Ohrenöffner

Das Frauenkloster, in dem Chiara Margarita Cozzolani wirkte, war für die überragende Qualität seiner Musik und Musikdarbietungen weithin bekannt. Sie schrieb ausdrucksvolle und lebhafte Werke – und rasselte dafür auch mit den bischöflichen Beamten zusammen, denen das zu weltlich dünkte. Diese Musik und ihre Komponistin bringt uns das Ensemble "The Present" mit dieser Einspielung wieder ins Gedächtnis, eingebettet in ein Konzept, das die Ohren dafür weit öffnet.

The Present - Ex Utero

Michèle Bokanowski, Chiara Margarita Cozzolani, Catherine Lamb, Hildegard Westerkamp
Alice Borciani, Ensemble Il Zabaione Musicale
Label: Col legno

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 13. August 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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