Das Kind wollte unterhalten werden. Glotze gab’s noch nicht, deshalb bestellte seine Mutter für den siebenjährigen König eine italienische Operntruppe nach Paris. Jetzt ist eine Gesamteinspielung der ersten Oper Frankreichs erschienen.
Bildquelle: © Chateau de Versailles Spectacles
Kardinal Mazarin - genau, das ist neben Kardinal Richelieu einer der beiden kirchlichen Strippenzieher, die man aus den Romanen und Filmen um "Die Drei Musketiere" kennt. Dieser Kardinal Mazarin regierte Frankreich, weil der spätere Sonnenkönig noch ein Dreikäsehoch war, und er holte auf Wunsch der Königinmutter eine italienische Operntruppe nach Paris.
"La Finta Pazza" von Francesco Sacrati, die erste Oper überhaupt, die damals auf französischem Boden erklang, ist nun beim Label Chateau de Versailles Spectacles in einer Gesamtaufnahme erschienen, interpretiert von der Cappella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón.
"La Finta Pazza" war lange Zeit ein Mysterium, denn die Partitur galt als verschollen. Erst 1984 kam sie wieder ans Tageslicht - und es wurde offensichtlich, warum Sacrati jahrelang erfolgreich mit ihr durch Italien tourte und warum man auch in Frankreich wissen wollte, was da so viel Aufsehen erregte: Es war vor allem die dramatische Intensität. Nicht umsonst ging "La Finta Pazza" als erste Oper in die Geschichte ein, die eine Wahnsinnsarie enthält - eine Blaupause für alle zukünftigen Darstellungen des Wahnsinns in der Barockoper.
Für Werke aus der Pionierzeit der Gattung gilt: Sie können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn es gelingt, aus dem Skelett der überlieferten Partitur ein Werk aus Fleisch und Blut zu kreieren - und das schaffen Leonardo García Alarcón und sein Ensemble vor allem durch geschickte Instrumentation und historisch angemessene Ausschmückung.
So wird aus der stereotypen Abfolge von Rezitativen und Arien ein szenisches Tableau mit einer abwechslungsreichen Farbpalette. Dazu tragen auch die Solistinnen und Solisten bei, allen voran in den Hauptrollen die Sopranistin Mariana Flores und der Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian.
Damit keine Langeweile bei dem siebenjährigen König Ludwig aufkam, baute man für die Pariser Aufführung extra ein spektakuläres Ballett der Affen und Strauße ein - damit war die Richtung vorgegeben für die französische Oper mit ihren obligatorischen Tanzeinlagen. "La Finta Pazza": ein vergessenes, aber damals äußerst einflussreiches Werk, ist nun endlich in einer Maßstab-setzenden Gesamteinspielung verfügbar.
Gesamteinspielung
Mariana Flores (Sopran), Paul-Antoine Bénos-Djian (Countertenor) u.a.
Cappella Mediterranea, Leitung: Leonardo García Alarcón
Label: Chateau de Versailles Spectacles
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 24. Juli 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK