Das vierte Madrigalbuch von Claudio Monteverdi ist ein Manifest der musikalischen Veränderung um 1600. Philippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent nehmen uns mit auf eine Reise in die leidenschaftliche Welt des Spektakulär-Unspektakulären.
Bildquelle: © Phi
So beginnt Claudio Monteverdi sein viertes Madrigalbuch: die bitter-süßen Leiden der Liebe, vertont mit schmerzvoll-schönen Dissonanzspannungen. Ganz Klang, ganz inniger Ausdruck der Sprache. 11 Jahre ist es her, dass Monteverdi sein vorausgehendes Madrigalbuch veröffentlichte. Jetzt, im vierten Madrigalbuch, wird ein Wandel sichtbar: Nicht länger ordnen sich die Worte der Musik unter, umgekehrt steht nun die Musik im Dienst der Wortbedeutung.
Und das hat längst nicht allen gepasst. Berühmt sind die Angriffe von Giovanni Maria Artusi auf Monteverdi. Für ihn war der Verstoß gegen die traditionellen Regeln des Kontrapunkts unter keinen Umständen hinzunehmen. Das interessierte Monteverdi aber herzlich wenig, im Gegenteil, die Veröffentlichung des vierten Madrigalbuchs 1603 war auch eine Art Antwort auf diese jahrelangen Anfeindungen. Und die Musik gibt Monteverdi recht.
Das Meer und die Winde beruhigen sich durch einen einzigen Blick schöner Augen, in Klang gesetzt von Claudio Monteverdi. Wenn die Musik so eng mit der Sprache verflochten ist, dann, könnte man meinen, sind die Muttersprachler klar im Vorteil. Und tatsächlich haben wohl viele, so wie ich selber auch, einige hervorragende italienische Ensembles mit diesem Repertoire im Ohr. Steht also die neue Aufnahme von Philippe Herreweghe mit dem Collegium Vocale Gent von vornherein auf verlorenem Posten? Der erste Höreindruck: Das Ensemble besticht wie so oft durch seine schiere Qualität: Transparenz, Artikulation, Phrasierung, Linienführung, Intonation, Ensembleklang, alles auf höchstem Niveau. Zweiter Eindruck: diese typisch italienische Verbindung von Leichtigkeit und dramatischem Ausdruck, die Geschmeidigkeit, mit der Wort, Musik und Ausdruck verschmelzen, die fehlt dann eben doch. Dritter Eindruck: Alles wieder vergessen. Je öfter man diese Aufnahme nämlich hört, desto mehr offenbart sie ihre eigentlichen Qualitäten. Unter der Oberfläche der klanglichen und musikalischen Anmutung kommen Schicht für Schicht Details ans Licht, die man derart sorgfältig ausgearbeitet sonst kaum zu Gehör bekommt.
Monteverdis viertes Madrigalbuch war so erfolgreich, dass es schon nach gut zehn Jahren sogar in Antwerpen gedruckt wurde. Auch im Mutterland der franko-flämischen Vokalpolyphonie wurde Monteverdis Musik studiert und gesungen. Und umgekehrt schließt Monteverdi explizit an diese Tradition an. Denn er selber sah sich nie als einen Revolutionär, der die Vergangenheit zertrümmert, um etwas Neues zu schaffen. In diesem Sinne kann man auch diese Aufnahme verstehen: Eine Interpretation, die sich eher aus dem Geist der Renaissancepoylphonie heraus entwickelt, als aus dem italienischen Parlando. Dass das kein Nachteil ist, davon kann sich jeder und jede überzeugen, der sich auf diese CD einlässt.
Claudio Monteverdi
Collegium Vocale Gent
Philippe Herreweghe (Leitung)
Label: Phi
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 5. Juni 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK