Ohne ihn wüssten wir viel weniger über das musikalische Europa des 18. Jahrhunderts: Burney hinterließ uns mit seinem "Tagebuch einer musikalischen Reise" ein Zeugnis von unschätzbarem Wert.
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Wenn man etwas Authentisches über die europäische Musik am Ende des 18. Jahrhunderts lesen will, dann führt kein Weg an den musikalischen Reisereportagen des Charles Burney vorbei. Mit dem Anfang der 1770er Jahre in mehreren Bänden erschienenen und sogleich ins Deutsche übersetzen "Tagebuch einer musikalischen Reise" durch Frankreich und Italien, Flandern und die Niederlande, Deutschland und Österreich schuf der Brite einen Best- und Longseller der Musikgeschichte. Sein Werk liest sich wie das "Who is who?" des ausgehenden Generalbasszeitalters. Denn Charles Burney, Erfinder der musikalischen Homestory, hat sie alle besucht und getroffen. Ob Martini oder Galuppi, Voltaire oder Grétry, Hasse oder Gluck, Mozart oder Farinelli - kein V.I.P. der Musikwelt, der Burney nicht empfangen und ihm etwas vorgespielt und -gesungen hätte.
Seine unterhaltsamen Charakterstudien bestechen noch heute. Über den von ihm hoch verehrten Niccolò Jommelli etwa, den er in Neapel trifft, schreibt Burney: "Er ist außerordentlich korpulent und hat im Gesichte etwas Händeln Ähnliches, doch ist er weit höflicher und sanfter in seinem Betragen. Ich fand ihn in seinem Schlafrocke, er saß bei einem Flügel und schrieb."
Der erste optische Eindruck, den Charles Burney von Christoph Willibald Gluck in dessen Villa in Wien erhält, ist dagegen nicht ganz so herzlich. "Sein Gesicht ist stark von den Blattern gezeichnet, seine Figur und sein Blick sind ziemlich widrig; er ward aber bald milder gemacht, und er sprach, sang und spielte."
Burneys Urteil über Glucks damals neuartige Reformopern ist dann aber höchstes Lob: "An Erfindung, zumal in der dramatischen Malerei und theatralischen Wirkung kommt ihm weder ein lebender, noch verstorbener Tonsetzer gleich."
Bewunderung und Anerkennung ernten viele der Musikgrößen, die Burney kennenlernt, doch sein Urteil ist unbestechlich. Wenn er kritisiert, tut er das wohlwollend und Taktvoll, selbst beim arroganten Meisterlibrettisten Metastasio: "Wenn man ihn mit Höflichkeit anhört, so spricht er ganz frei und angenehm fort; wird ihm aber widersprochen, so schweigt er augenblicklich stille."
Carl Phillip Emanuel Bach improvisiert vor Burney mit rollenden Augen auf dem Clavichord, Friedrich der Große spielt kurzatmig Flöte und das Superstarehepaar Faustina Bordoni und Johann Adolph Hasse plaudert angeregt über sein Leben für die Oper. Mit Einfühlungsvermögen und musikalischem Sachverstand bringt Burney die Musikgrößen zum Sprechen. Denn als Schüler von Thomas Arne, Geiger im Orchester von Georg Friedrich Händel, praktizierender Organist, Komponist einiger Cembalo-, Geigen- und Bühnenwerke und promovierter Musikwissenschaftler an der Universität Oxford ist er ein profunder Kenner und Könner. Dass er zum bekanntesten Musikjournalisten und Meister des narrativen Interviews wird, ist eher ein Zufall. Sein "Tagebuch einer musikalischen Reise" entsteht lediglich als Vorarbeit zu einer großangelegten vierbändigen Musikgeschichte, die bei weitem nicht so erfolgreich wird wie seine musikalische Großreportage mit Promifaktor.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 29. Juni 2014, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK