Wenn es intensiv und spannend, vielleicht sogar schmerzvoll werden soll, dann ist das der richtige Moment, sich von einer Dur- oder Moll-Tonleiter zu verabschieden und ein paar Töne mehr einzuladen. Vorhang auf für: die Chromatik.
Bildquelle: Wikipedia
G- fis- f- e- es- d: nicht Dur, nicht Moll, sondern chromatisch, ein Halbtonschritt nach dem anderen. Henry Purcell verwendet diese besondere Tonfolge hier am Ende seiner Oper "Dido und Aeneas", als Bass für Didos Lamento, für Didos Sterbeszene.
Ein "Lamento- Bass", eine absteigende Quarte, die hier in Halbtonschritten ausgefüllt wird, das vielleicht häufigste Modell im Barock mit dem Gebrauch von Chromatik. Von Komponisten verwendet, wenn sie Schmerz und Trauer ausdrücken wollen. Oft benutzt und immer wirkungsvoll. Und nur eine von vielen Möglichkeiten, wie Chromatik aussagekräftig eingesetzt werden kann.
Der Begriff "Chromatik" hat seinen Ursprung im griechischen und bedeutet "Farbe". Im Laufe der Zeit hat sich stark verändert, was genau damit gemeint ist. In der griechischen Musiktheorie, lange vor Christi Geburt, meinte Chromatik die verschiedenen Färbungen zwischen den einzelnen Tongeschlechtern. Das hat mit Mikrointervallen zu tun und klingt ziemlich anders als das, was wir heute unter Chromatik verstehen.
Mittlerweile hat es sich durchgesetzt, dass wir damit die Umfärbung eines Tones meinen, wenn also aus einem f ein fis oder ein fes wird. Eine chromatische Tonleiter ist dann eine Tonleiter in Halbtonschritten, also f- fis- g- gis- a usw. Die Chromatik verwischt dann das harmonische Gerüst in der Komposition, wenn mehr und mehr tonartfremde Töne klingen.
Der Spät-Renaissance-Komponist Carlo Gesualdo war der intensiven Verwendung von Chromatik nicht abgeneigt.
"Gioite voi col canto": ein Madrigal von Carlo Gesualdo, der wie kein Zweiter die Grenzen der Harmonik ausgelotet hat und dessen Musik es uns stellenweise schwer macht zu glauben, sie entstamme der Zeit um 1600. Er hat so viele chromatische Umfärbungen in seinen Kompositionen untergebracht, dass ein flüchtiger Blick in die Noten vielleicht eher eine Komposition des 20. Jahrhunderts oder der Gegenwart vermuten ließe.
"Variationen über Weinen Klagen Sorgen Zagen": Franz Liszt hat sich für dieses Variationswerk für Orgel solo bei Johann Sebastian Bach bedient, der in seiner Kantate "Weinen Klagen Sorgen Zagen" die Stimmen nach der einleitenden Sinfonia über einem Lamento-Bass einsetzen lässt. Ein Stückchen chromatische Tonleiter im Bass und darüber jede Menge fallende Halbtonschritte, jede Menge Seufzer.
Liszt übernimmt die chromatische Basslinie von Bach, Gesualdo war Jahrzehnte vor Bach ein großer Anhänger von Harmonieveränderungen mittels chromatischer Durchgänge - die Chromatik war und ist ein gern gewähltes Mittel, um mehr Spannung, mehr Reibung und mehr Farbe in die Musik zu bringen.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 8. September 2013, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK