Ohne ihn sähe nicht nur die Stuttgarter Musiklandschaft anders aus: er gründete dort mehrere Ensembles, mit denen er Musik im Zeichen der historischen Aufführungspraxis aufführt – gerne auch bei seinem eigenen Festival.
Bildquelle: Gudrun Bublitz
"Alles, was überfrachtet ist und nicht einen genuinen Zugang zu dem Werk betrifft, das finde ich... unehrlich. Und Ehrlichkeit in der Musikinterpretation, das ist mir am wichtigsten."
Deshalb hat Frieder Bernius beschlossen, sich mit historischer Aufführungspraxis zu beschäftigen; deshalb gründete er 1968, mit 20 Jahren und noch während seines Studiums an der Musikhochschule Stuttgart den Kammerchor Stuttgart, 1991 das Barockorchester und die Klassische Philharmonie Stuttgart und schließlich 2006 die Hofkapelle Stuttgart, die sich dem Repertoire des frühen 19. Jahrhunderts widmet - alles Originalklangensembles. Mit diesen ist er auf der ganzen Welt zu hören, aber immer wieder auch auf seinem eigenen, 1987 gegründeten Festival Stuttgart Barock. Daneben wird Bernius auch häufig von anderen Chören und Orchestern als Gastdirigent und für Meisterkurse angefragt.
Was ist bei seinen Interpretationen mit all diesen Ensembles das Verbindende?
"Interpretation bedeutet, den Komponisten so zu Wort kommen zu lassen, und ihn so darzustellen, dass er sagen würde: ja, genau das ist meine Intention. Das kann ich aber nur, indem ich ihm meinen persönlichen Stempel aufdrücke - wenn auch natürlich einen, der sich so nah wie möglich an den gedachten Intentionen des Komponisten orientiert."
Kennzeichnend für Bernius' Arbeit ist auch ein sehr charakteristischer Klang, den man für das barocke Repertoire als sehr fokussiert und gerade beschreiben könnte. Aber auch in der Musik des 19. Jahrhundert fällt eine besondere Schlankheit und Durchhörbarkeit auf. Dieser Klang kommt durch verschiedene Aspekte zu Stande:
"Zum Beispiel die Vokaltreue: Dass jeder zur gleichen Zeit exakt dieselbe Klangfarbe singt. Dasselbe bei den Geigern, die eben auch versuchen, durch Strich und Intensität des Bogenstriches einen gemeinsamen Klang zu erreichen."
Sieht Frieder Bernius sich als Perfektionist?
"Absolut. Und das ist auch nicht besser geworden in den letzten zehn Jahren, ich glaube, es wird eher schlimmer!"
Sein Repertoire umfasst nach wie vor viel Barockmusik: Zelenka, Bach und Söhne, daneben die Musik der Klassik und zunehmend des frühen 19. Jahrhunderts, Werke von Mendelssohn, Schubert, Burgmüller oder Kalliwoda, ab und an auch zeitgenössische Musik. Insgesamt kann man wohl sagen, dass er unter den großen Dirigenten der Alten Musik derjenige ist, der sich am wenigsten am Mainstream orientiert. Moderne Uraufführungen und Ersteinspielungen sind für Bernius und seine Ensembles eher die Regel, denn die Ausnahme. Und das spiegelt sich auch in seiner generellen Einstellung zu seiner Karriere:
"Ohne an eine bestimmte Entwicklung, an eine weitere Annäherung an meine Ideale zu glauben, würde ich ungern weitermachen. Da stehenzubleiben, wo ich bin, und zu sagen: mit dem was ich interpretatorisch und perspektivisch erreicht habe, bin ich jetzt zufrieden - das ist uninteressant!"
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 29. Mai 2016, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK