Musik des Mittelalters, der Renaissance, des Barocks oder auch Jazz- oder Popmusik ohne Verzierungen? Das wäre eine recht anämische Angelegenheit!
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Wo darf man verzieren? Wo muss man? Spielt man den Triller von der Hauptnote weg oder von der oberen Nebennote? Kann man auch zu viele Verzierungen, zu viele Diminutionen, zu viele Manieren spielen?
"Es hat wohl niemand an der Nothwendigkeit der Manieren gezweifelt. Man kann es daher merken, weil man sie überall in reichlicher Menge antrifft. Indessen sind sie allerdings unentbehrlich, wenn man ihren Nutzen betrachtet. Einer mäßigen Komposition kann durch sie geholfen werden, da hingegen der beste Gesang ohne sie leer und einfältig, und der klärste Inhalt davon allezeit undeutlich erscheinen muß." Carl Philipp Emanuel Bach
So schreibt Carl Philipp Emanuel Bach 1753 in seinem "Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen". Gut 200 Jahre nach der vermutlich ersten Verzierungslehre, der Flötenschule von Silvestro Ganassi. Spätestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ist das gekonnte Verzieren Usus und zieht sich bis ins 19. Jahrhundert fort. Erst ab dem Spätbarock und der beginnenden Klassik erwarten die Komponisten, dass ihre Werke ohne Veränderungen gespielt werden.
Carl Philipp Emanuel Bach fügt in seinem Buch gleich eine Vielzahl von Erläuterungen über die Manieren oder Verzierungen an:
"Man hat bei einer guten Art das Clavier zu spielen viererley Triller, den ordentlichen, den von unten, den von oben und den halbe- oder Pralltriller."
Neben den Trillern schreibt Bach auch über zahlreiche andere Verzierungen; über den Doppelschlag oder Mordent, über Schleiffer oder Schneller.
Wie die Verzierungen nun verwendet wurden und werden, dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Es stehen sich hier die französische und die italienische Art zu spielen gegenüber. In Frankreich liegt die Entscheidung über die Verzierungen beim Komponisten. Französische Barockmusik ist oft gespickt mit Verzierungszeichen, mit kleinen Häkchen, die Vorschläge anzeigen oder mit den verschiedenen Trillerzeichen. Italienische Noten dagegen stellen manchmal nur ein harmonisches Grundgerüst dar, das der ausführende Musiker dann zu verzieren hatte.
Diese Unterteilung in französische und italienische Verzierungsideen ist natürlich etwas plakativ. Denn es gibt durchaus französische Komponisten, die ein Stück nach italienischer Art gespielt haben wollen, also mit freien Verzierungen. Nicht zu vergessen: all diejenigen Komponisten, die weder Franzosen noch Italiener sind.
Johann Joachim Quantz etwa rät dem Musiker zum Einsatz von Verzierungen:
"Mit den kleinen Auszierungen gehe er um, wie man mit dem Gewürze bey den Speisen zu thun pfleget; so wird er weder zu viel noch zu wenig thun."
Einige Musikstücke sind uns in ausgezierten Fassungen überliefert; häufig sind das Spielanweisungen eines Lehrers an seinen Schüler.
Johann David Heinichen schreibt in seiner Schule:
"Die Maniren verändern sich nach dem Geschmack und Erfahrung. Weil es nun hierin nicht sowol auf Regeln, als auf die Uibung und gute Beurtheilung ankömmt, so können wir nichts weiter thun, als einige prima principia und kurtze Anleitung geben. Das übrige müssen wir der okularen Demonstration eines Lehrenden, oder dem eigenen Fleiße und der Erfahrung eines Lernenden überlassen."
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 19. Juni 2016, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK