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Bartóks "Wunderbarer Mandarin" wird uraufgeführt Theaterskandal um eine höllische Musik

Köln, 27. November 1926. Im Opernhaus am Habsburgerring herrscht Aufruhr – und das schon, bevor die letzten Takte von Béla Bartóks Tanzpantomime "Der Wunderbare Mandarin" verklungen sind. Aus dem Theaterskandal erwächst eine Diffamierungskampagne übelster Art, mit weitreichenden Folgen.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Kalen

Theaterskandal um eine höllische Musik

"Die aus dem Orchesterraum hervorbrechenden Geräusche und die widerliche Handlung bewirkten es, dass schon vor dem Schluss die Reihen vor der Bühne sich lichteten." So wird es am Tag nach der Uraufführung auch in der Zeitung stehen. Wer am Ende noch im Zuschauerraum sitzt, gehört entweder zur Anhänger-Fraktion oder mischt mit, um Stück und Autor noch mal so richtig zu attackieren: "Pfui! Gemeinheit! Skandal!" tönt es durch den Saal – bis endlich der Eiserne Vorhang fällt. Die Kritik im Kölner Stadtanzeiger ist gnadenlos: "Ein minderwertiges Werk! Ein Dirnen- und Zuhälterstück mit Orchestertamtam."

Es wird eine höllische Musik.

Kompromisslos moderne Kunst

Auch die Kirchenvertreter empören sich – vor allem über Menyhért Lengyels gesellschaftskritisches Sujet. Die Handlung: Drei Raubmörder zwingen eine junge Prostituierte, Freier anzulocken, um sie aus dem Hinterhalt zu überfallen. Ein unheimlicher Mandarin scheint das perfekte Opfer zu sein. Doch alle Mordversuche scheitern an seinem unbefriedigten wilden Verlangen. Erst als das Mädchen ihn umarmt, beginnen seine Wunden zu bluten. Dass Bartók dazu auch noch eine kompromisslos moderne Musik komponiert hat, tut ihr Übriges: Unerbittlich attackiert sie den Zuhörer mit brutaler Energie, bedrängt ihn mit pulsierenden, rotierenden Rhythmen und Klangeffekten von orgiastischer Expressivität. Schneidende Bläserakkorde, Dissonanzen, bizarre Tremoli evozieren eine erotisch aufgeladene Großstadt-Atmosphäre. Bartók weiß, was er geschaffen hat: "Es wird eine höllische Musik… schrecklicher Lärm, Geklirre, Gepolter und Getute: Ich führe die werten Zuhörer aus dem weltstädtischen Straßentrubel hinaus zu einem Apachenlager."

Adenauer verbietet alle weiteren Aufführungen

Dafür muss sich der Komponist jetzt vor den Moralaposteln verantworten. Denn aus dem Theaterskandal erwächst eine Diffamierungskampagne übelster Art. Kein Geringerer als Oberbürgermeister Konrad Adenauer lässt alle weiteren Aufführungen mit sofortiger Wirkung verbieten. Bartók hatte sich nach dem Scheitern der ungarischen Räteregierung gerade in Deutschland Hoffnungen auf Erfolg gemacht. Vergeblich! Er wird den "Wunderbaren Mandarin" zu Lebzeiten nur noch als Konzertsuite erleben.

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Bartók: Der wunderbare Mandarin ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada | Bildquelle: hr-Sinfonieorchester – Frankfurt Radio Symphony (via YouTube)

Bartók: Der wunderbare Mandarin ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada

Sendung: "Allegro" am 27. November 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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