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Pierre Boulez' Forderung im "Spiegel" "Sprengt die Opernhäuser in die Luft"

Hamburg, 25. September 1967. "Sprengt die Opernhäuser in die Luft!" Unter dieser Überschrift erscheint ein Interview im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Ein Anarchist? Ein radikaler Sparvorschlag, um den schon damals drohenden Kulturinfarkt zu verhindern? Nein – es ist die zugespitzte Fassung einer provakanten Äußerung. Sie stammt von keinem Geringeren als Pierre Boulez.

Pierre Boulez | Bildquelle: picture alliance / akg

Bildquelle: picture alliance / akg

Was heute geschah - 25. September 1967

"Sprengt die Opernhäuser in die Luft"

Als Komponist hat sich Pierre Boulez nach dem Krieg als radikaler Vorkämpfer der Avantgarde einen Namen gemacht. Und auch als Dirigent geht seine Karriere steil aufwärts, seit Wieland Wagner ihn für den "Parsifal" nach Bayreuth verpflichtet hat. In seinem legendären "Spiegel"-Interview geht der scharfzüngige Maitre mit seinen Komponisten-Kollegen hart ins Gericht. Seit Alban Bergs Opern habe es keinen ernst zu nehmenden Beitrag zur Gattung gegeben. Hans Werner Henze? "Ein lackierter Friseur, der einem ganz oberflächlichen Modernismus huldigt." Und das Repertoire, zum Beispiel Verdis "Rigoletto" in einer realistischen Regie? "Idiotisch."
Also, was tun?

Die teuerste Lösung wäre, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Aber glauben Sie nicht auch, dass dies die eleganteste wäre?
Pierre Boulez

Im Alter wird Boulez milder

Natürlich gab es in der Opernwelt ein großes Hallo. Andererseits: Man war daran gewöhnt, dass der junge Boulez gern provozierte. Mit den Jahren wird er in seinen Äußerungen merklich milder. Bis er schließlich sein Anliegen mit fast schon salomonischer Altersweisheit formuliert.

Wie kann man die Institutionen allmählich transformieren, sodass klar ist: Was ist wichtig für die Zukunft?
Pierre Boulez

Ein fast lustiger Nachschlag

Ironie der Geschichte: Im Jahr 2001, als aus "Boulez der junge Wilde" längst schon "Boulez der väterliche Grandseigneur" geworden war, holt ihn seine verbale Jugendsünde ein. Es ist der zweite November, die Terrorangriffe vom 11. September haben die Sicherheitsbehörden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. In seinem Basler Hotel wird Boulez durch heftiges Klopfen an seine Zimmertür unsanft geweckt. Drei Schweizer Polizisten verlangen seinen Pass und verschwinden kommentarlos. Der Komponist gerät in Panik, er muss am gleichen Tag nach Chicago fliegen. Nach zwei Stunden bekommt er den Pass zurück, ebenfalls kommentarlos. Später rechtfertigt sich die Schweizer Polizei: Da gab es doch dieses Interview mit der Aufforderung, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Boulez habe sogar eine Vorzugsbehandlung bekommen – wegen seines Alters und weil er keinen gemeingefährlichen Eindruck gemacht habe, so der Polizeisprecher. "Normalerweise hätten wir ihn verhaften müssen."

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 25. September 2024 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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