London, 8. März 2017. Die "Ostersonate" von F. Mendelssohn wird zum ersten Mal öffentlich aufgeführt. Dieses F. auf dem Manuskript steht jedoch nicht, wie ursprünglich angenommen, für "Felix", sondern für "Fanny". Um zu verstehen, wieso es fast 200 Jahre gedauert hat, bis Fannys Sonate auch als Fannys Sonate gespielt wird, braucht es nicht nur eine kleine Zeitreise – aber ziemlich viel von Miss Marples Spürsinn.
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Wir schreiben das Jahr 1828. Die Klaviersonaten-Koryphäe Ludwig van Beethoven ist ein Jahr tot. Er hat die Messlatte hoch angesetzt für die komponierende Nachwelt. Fanny Mendelssohn schüchtert das aber nicht ein. Sie ist 22 Jahre jung, ist am Klavier mit allen Wassern gewaschen und setzt sich an die Arbeit. Weil Ostern naht, macht sie das Auferstehungsfest zum Thema. Aufgeführt wird die Sonate im privaten Rahmen, veröffentlicht hingegen nie. Das wussten Vater UND Bruder Felix erfolgreich zu verhindern. Weil sich "sowas" für eine Frau nicht ziemt.
Die Sonate ist schließlich maskulin – bekräftigt zwar nicht das grammatische Geschlecht, aber diese Diskussion würde jetzt wirklich zu weit führen. Bald schon ist die Sonate vergessen. Bis zum Jahr 1970.
Henri-Jaques Coudert, ein Freak mit ausgeprägter Schnüffelnase für musikalische Trüffel, stöbert in einem Pariser Antiquariat Noten auf mit der Signatur F. Mendelssohn. "Felix", ist ja klar. Ist ja eine Sonate, ist ja eine männliche Gattung. Das Stück wird aufgenommen, Jubel für den pfiffigen Finder und den Interpreten.
Noch ist der Fall aber nicht gelöst. Wir machen einen Zeitsprung von 30 Jahren in die USA. Ein weiterer Name kommt ins Spiel: Angela Christian. Musikwissenschaftlerin. Sie analysiert das musikalische Erbe von Fanny Mendelssohn in Berlin. Dabei fällt auf: In einer Sonate fehlen 30 Seiten. Könnten das nicht diese Noten aus Paris sein…? Die Amerikanerin sucht den Pariser auf. Aber der meint: "Entschuldigen Sie, das hier ist ein Meisterwerk, sehr maskulin, geradezu bedrohlich!"
Die Musikwissenschaftlerin lässt sich von der platten Wertung nicht abwimmeln. Die Zahlen nämlich sprechen für IHRE These: Das Pariser Manuskript fügt sich mit den fortlaufend nummerierten Seitenzahlen exakt in die lückenhafte Sonate aus dem Berliner Nachlass von Fanny.
Knapp 190 Jahre nach ihrem Entstehen wird die "Ostersonate" in London unter Fannys Namen im Royal College of Music zum ersten Mal öffentlich gespielt. Am internationalen Frauentag und in Anwesenheit der Ururenkelin von Fanny Mendelssohn.
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Fanny Mendelssohn - Easter Sonata in A Major / World Premiere (Century’s recording: Eric Heidsieck)
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Sendung: "Allegro" am 08. März 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK