Am 22. November 2016 feierte Hans Zender seinen 80. Geburtstag. Er gehört zu den führenden Protagonisten der Neuen Musik in Deutschland - als Komponist ebenso wie als Dirigent. Doch ungeachtet seines Engagements für die Avantgarde hat sich Zender auch stets schöpferisch mit der musikalischen Tradition auseinandergesetzt.
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So wurde Zender über die engeren Kreise der Neuen Musik hinaus vor allem durch seine Bearbeitung der "Winterreise" bekannt. "Eine komponierte Interpretation" nannte er seine Auseinandersetzung mit Schubert, die zum Welterfolg wurde. "Ich habe fast unmittelbar nach der Uraufführung und seitdem pausenlos Post bekommen von Leuten, die an Schulen arbeiten", führt er aus. "Und die sagen: Dieses Stück schlägt bei uns wie eine Bombe ein. Es ist immer wieder zu sehen, dass Schüler, die dieses Stück gehört haben, anschließend zum ersten Mal in ihrem Leben freiwillig in ein klassisches Konzert gehen."
Nicht nur als Komponist fühlt sich Zender zu Schubert hingezogen, auch als Dirigent. Er war Chef des Radio Sinfonie Orchesters Saarbrücken und Generalmusikdirektor in Hamburg, Kiel und Bonn. Im heutigen Musikleben ist eine solche Doppelkarriere als Komponist und Dirigent eher die Ausnahme. Bis hin zu Strauss und Mahler war es über Jahrhunderte der Normalfall gewesen, dass Komponisten auch als ausübende Musiker auftreten: "Dies zu trennen - das ist doch die eigentliche problematische Entwicklung innerhalb des 20. Jahrhunderts", erläutert Zender. "Ich habe meinen Kompositionsschülern immer gesagt: Es ist sehr wichtig, dass ihr ein Instrument nicht nur konzertreif beherrscht, sondern auch öffentlich spielt, damit ihr überhaupt merkt, was das ist, wenn Musik auf dem Podium 'passiert'."
Ich verdanke der japanischen Kultur unendlich viel an geistigen Anregungen.
Heute widmet Zender seine Zeit überwiegend dem Komponieren. Als Schüler von Bernd Alois Zimmermann hat er nie zur vordersten Front der Avantgarde gehört. Auf wohlige Klangschwelgereien hat er sich allerdings ebenso wenig eingelassen. Drei Opern, darunter "Stephen Climax" nach James Joyce und "Don Quijote" nach Miguel de Cervantes, Kammermusik für alle Besetzungen, Vokal- und Orchestermusik - Zenders Kreativität gilt allen Gattungen. Intensiv hat er sich in den letzten Jahren mit der natürlichen Obertonreihe beschäftigt: Weg von der temperierten Stimmung des Klaviers, hin zu den reinen Intervallen der Naturtonreihe. Stark beeinflusst wurde Zender von der Musik des Fernen Ostens, vor allem Japans. Auslöser war eine Japan-Tournee: "Das war 1972", erinnert sich Zender. "Und da ist der Eindruck der alten japanischen Kultur wie eine Lawine über mich hereingebrochen. Ich habe einige Nō-Theater-Aufführungen gesehen und viele Tempel besichtigt. Dann habe ich mich mit der japanischen Kalligraphie sehr stark beschäftigt. Insgesamt verdanke ich dieser Kultur unendlich viel an geistigen Anregungen."
Was Zender in der Kultur des Fernen Ostens sucht, in der Kalligraphie und im japanischen Zen-Buddhismus, ist die Kraft der Meditation. Sammlung, nicht Zerstreuung sucht Zender in der Musik. Ihm geht es um den konzentrierten, verdichteten Augenblick, in dem ein Klang entsteht – ein Moment, der nur vor dem Hintergrund der Stille seine magische Kraft entfaltet. "Was mich mit vielen Schöpfern der Neuen Musik verbindet ist: auf eine neue Weise, mit den Mitteln der Neuen Musik, zu versuchen, den Geist des Hörers zu einer Konzentration zu bringen", sagt er.
Diese Lust am konzentrierten Hinhören ist vielleicht der stärkste Antrieb des Musikers Hans Zender: "Wir müssen einen Ausgleich schaffen, und ich denke auch, der Künstler hat da einen gesellschaftlichen Auftrag, etwas in unserem modernen Bewusstsein wieder anzuregen, was unterentwickelt und ins Abseits geraten ist - nämlich das, was wir mit einem alten Begriff die 'geistige Ebene' der Kunst nennen würden."
Dienstag, 22. November 2016, 20.03 Uhr
Konzert der musica viva - Hans Zender zum 80. Geburtstag
Hans Zender:
"Kalligraphie IV"; "Issei no kyō"; Aus "Logos-Fragmente"
Donatienne Michel-Dansac (Sopran)
Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Emilio Pomárico
Aufnahme vom 7. Oktober 2016 im Herkulessaal der Münchner Residenz