Rom, 28. April 1565. Der Papst ist sauer. Dieses polyphone Stimmengewusel in der Kirchenmusik! Kein Wort versteht man mehr von den heiligen Texten. Und die Herren Komponisten scheuen nicht mal davor zurück, die Melodien unzüchtiger Lieder in ihre Messvertonungen einzubauen. Ein Gräuel! Und deswegen soll das Tridentiner Konzil, das gerade tagt, gleich die ganze polyphone Kirchenmusik verbieten. Schluss mit dem unwürdigen Gesang, beschließt der Papst. Einer jahrhundertealten Kunst droht das Ende. Doch dann geschieht ein Wunder.
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In nur einer einzigen Nacht komponiert Giovanni Pierluigi da Palestrina, Kapellmeister am Seminario Romano, eine ganze Messe. Ein Engel steigt herab und diktiert ihm die Noten. Und als sich am nächsten Tag, dem 28. April 1565, eine Konzilsdelegation im Haus des Kardinals Vitellozzo Vitelli trifft, um über das Verbot zu entscheiden – da stimmen die Sänger der päpstlichen Kapelle plötzlich Palestrinas neue "Missa Papae Marcelli" an. Die Musik ist himmlisch, rein, jedes Wort ist zu verstehen, trotz aller polyphonen Kunststücke. Die Kardinäle sind hingerissen. Palestrina hat die Kirchenmusik gerettet.
Was ist dran an dieser Legende? Das Vorsingen vor den Kardinälen an jenem 28. April 1565 hat es wirklich gegeben. Gut denkbar, dass auch Palestrinas Messe unter den dargebotenen Stücken war. Ein Verbot der Kirchenmusik stand zwar nie im Raum, wohl aber im Zuge der Gegenreformation eine Rückbesinnung aufs Wesentliche, eine Reinigung der Musik von allem Weltlichen, die Verständlichkeit der Texte.
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Palestrina - Missa Papae Marcelli
Palestrinas Musik erfüllte all diese Anforderungen; schnell wurde sie zum Vorbild für alle künftigen Kirchenkomponisten. Auch wenn es vielleicht keine Engel waren, die dem versierten Kapellmeister die Noten eingegeben haben – Palestrinas "Missa Papae Marcelli" bleibt bis heute ein musikalisches Wunderwerk.
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Sendung: "Allegro" am 28. April 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK