Sonziwka, 15. Juli 1903. Sergej Prokofjew beginnt mit seinen Tagebuchaufzeichnungen. 12 Jahre alt ist er. Ein Grünschnabel, der, umgeben von Weizenfeldern, in der ukrainischen Provinz aufwächst. Sein Vater ist Agronom, die Mutter spielt sehr hübsch Klavier. Und Sergej – schreibt von "Krocket, Reiten und Stelzenlauf, Kartenspielen, Zinnsoldaten, Eisenbahnen und Schach". Die Hobbys entsprechen in etwa seinem Alter und seiner wohlhabenden, wie auch gebildeten Kinderstube.
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Nebenbei allerdings erwähnt Prokofjew, dass er bereits einige Opern komponiert hat, dazu diverse Tänze und Klavierstücke. Wie gesagt, 12 ist dieser Sergej, genannt Serjoschka. Das Kind reflektiert also im Tagebuch übers Vergnügen und über seine musikalische Entwicklung! Zu der zählt auch sein Wechsel ans Konservatorium in St. Petersburg und Prokofjews Beobachtungen dort während der Revolution 1905: "Als ich heute zur Harmonielehrer ging, sah ich Studenten von 16 und 17 Jahren, die schrien und Lärm machten. Das wichtigste war, dass sie scheinbar überhaupt kein Ziel hatten."
Nein, revolutionäre "Ziele" interessieren Prokofjew wirklich nicht. Strebsam auf eine Karriere hinarbeiten, das ist vielmehr sein erklärtes Ziel! Und sowieso ist Prokofjew überzeugt davon, dass er nur mit Musik wirklich was zu sagen hat! Nochmal kurz zur Erinnerung: Zu jener Zeit ist Prokofjew unbekannt und gilt als eher mittelmäßig begabter Student. Auch ahnt er natürlich noch nichts vom ungehorsamen Peter und diesem Wolf – für die ihn mal jedes Kind lieben wird.
Und zwischen Prokofjew und den Orangen hat es sowieso noch nicht gefunkt – daraus entsteht erst einige Jahre später seine als "innovativ und spöttisch" gefeierte Oper "Die Liebe zu den drei Orangen". Dennoch reitet ihn bereits als Jüngling, was die Selbsteinschätzung angeht, quasi ein "feuriger Engel": "Mit 21 fasste ich den Entschluss, zu gegebener Zeit meine Autobiographie zu schreiben. Das Störende ist nämlich, dass, wenn ich sie nicht schreibe, es andere tun werden und sie werden manche Dinge zweifellos verfälschen!"
Diesem ausgeprägten Selbstbewusstsein von Sergej Prokofjew ist es zu verdanken, dass es über kaum einen Komponisten so viel selbst verfasste Zeugnisse gibt. Seine angekündigte Autobiographie schreibt er tatsächlich, indem er Briefe und eben auch sein Kindertagebuch ausschlachtet. "Prokofjew über Prokofjew" lautet der Titel. Sein Sowjetisches Tagebuch, entdeckt erst 1989, gilt als einzigartiges Kulturdokument. Ob Sergej Prokofjew jedoch in seiner Autobiographie wirklich nichts verfälscht hat, das steht auf einem anderen Blatt.
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PIANO SONATA NO. 1 - OP. 1 - Sergei Prokofiev
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Sendung: "Allegro" am 15. Juli 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK