Garmisch, 30. April 1945. Die Amerikaner sind da. Einen Tag vor Hitlers Selbstmord marschieren sie im Ort ein. Auch bei Richard Strauss fahren ihre Jeeps vor. Schließlich braucht man Unterkünfte für die Soldaten – und die Strauss-Villa gehört zu den größten Gebäuden im Umkreis. Doch der 81-jährige Komponist wehrt sich. Selbstbewusst tritt er vor sein Anwesen. Sein Argument: "Ich bin Richard Strauss, der Komponist von 'Rosenkavalier' und 'Salome'." Dann lädt er die Offiziere zu Hirschragout und Wein ein.
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Seine Taktik geht auf. Am Abend hängt ein Schild am Zaun: "Off limits". Die Amerikaner bewundern den berühmten Künstler, bitten ihn um Autogramme, sind äußerst liebenswürdig und wohlwollend. Ein Soldat bleibt Strauss besonders im Gedächtnis: Es ist John de Lancie, von Beruf Oboist und in Begleitung des Musikwissenschaftlers Alfred Mann zu Besuch. Der junge Mann bringt vor lauter Schüchternheit und Ehrfurcht kaum ein Wort heraus. "Einmal jedoch nahm ich all meinen Mut zusammen", erinnert sich de Lancie, "und begann über die herrlichen Oboenstimmen zu sprechen, denen man in so vielen seiner Werke begegnet. Ich wollte wissen, ob er jemals an ein Konzert für Oboe gedacht habe."
Strauss' Antwort ist knapp: "Nein." Doch der Vorschlag lässt ihn nicht los. Wenige Wochen später liegt das Konzert vor, vollendet im Schweizer Exil – wenn auch, wie beispielsweise das Zweite Hornkonzert, vom Komponisten selbst abgetan als Werkstattarbeit – "damit das vom Taktstock befreite Handgelenk nicht vorzeitig einschläft".
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ARD-Musikwettbewerb 2017 Finale Oboe - Juliana Koch, Deutschland 2. Preis
Dabei schimmert auch im Oboenkonzert die Transparenz und Komplexität durch, die den Spätstil seiner Opern prägt: das Kammerorchester als Orchester der Zukunft, der Verzicht auf thematische Geschlossenheit, die polyphone Schichtung, das kompromisslose Festhalten an der Tonalität. Noch einmal setzt Strauss auf die ihm vertrauten Mittel. Er weiß: "Mein Lebenswerk ist beendet." Und die Aufführungsstätten seiner Bühnenwerke liegen in Schutt und Asche.
Mit dem Oboenkonzert komponiert Richard Strauss noch einmal gegen die Trauer an, beschwört als Gegengewicht zu seinen resignativen "Metamorphosen" die Erinnerung an einen sorglosen Optimismus herauf, den der Zweite Weltkrieg irreparabel zerstört hat. Was hatte er vor zwanzig Jahren einmal gesagt? "Ich will Freude bereiten. Ich brauche sie."
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Sendung: "Allegro" am 30. April 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK