Berlin, 2. November 1923. Der Anarchist Robert Bodanzky stirbt verarmt, vergessen und fern seiner Heimatstadt Wien. Dort ist er einer der erfolgreichsten Operettenlibrettisten seiner Zeit gewesen, besonders für Franz Lehár und Emmerich Kálmán. Bodanzky stammt aus einer reichen jüdischen Familie, sein Bruder Arthur war Mahlers Nachfolger an der Met und seine Frau Malva war eine Cousine Arnold Schönbergs. Während des Ersten Weltkrieg wendet sich Bodanzky von der Operette ab und wird radikaler Pazifist und Anachrist.
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"Was Shelley und Büchner für ihre Zeit waren, ist Robert Bodanzky der Freiheitsbewegung unserer Zeit gewesen. Ein unbedingtes Sichstellen auf die Seite der Rebellion gegen alle Herrschaftsknechtung – das finden wir gleicherweise in diesem Dreiklang von Dichternamen."
So der österreichische Anarchistenführer Pierre Rasmus über seinen Freund. Ungewöhnliche Worte für einen Mann, den man heute nur noch als Operettenlibrettisten kennt und dessen revolutionäre Dichtungen weitgehend vergessen sind. Und ungewöhnlich ist auch Robert Bodanzkys Biographie. Seien Frau Malva ist eine Cousine Arnold Schönbergs, er selbst Spross einer wohlhabenden Wiener jüdischen Familie. Gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters zieht es Bodanzky schon früh zur Bühne. Es kommt zum Bruch – wie zuvor schon bei seinem Bruder Arthur. Der wird Dirigent und später Gustav Mahlers Nachfolger an der Metropoltitan Opera New York.
Bildquelle: picture-alliance/dpa Robert Bondanzky hingegen wird Schauspieler im Theater an der Wien. Hier spielt er bei der Uraufführung von Franz Lehárs Lustiger Witwe mit und schreibt für Lehár auch sein erstes Libretto – zur Kinderoperette Peter und Paul im Schlaraffenland. Bald ist er einer der erfolgreichsten Librettisten der Wiener Operette mit Titeln wie Franz Lehárs Graf von Luxemburg und Zigeunerliebe oder Herbstmanöver von Emmerich Kálmán.
„Aus Robert Bodanzky, dem Schmierenkomödianten, wurde der vielleicht beliebteste Librettist seiner Zeit. Doch der Weltkrieg vollbrachte eine große Wandlung in ihm, und er wurde es satt, für die Sorgenverscheuchung der Bourgeoisie zu schreiben", merkt sein Freund Pierre Rasmus an.
Tatsächlich wird 1914 aus dem Verfasser lustiger Husarenlieder ein Kriegsgegner und Anarchist. Er schließt sich den "herrschaftslosen Sozialisten" an und gibt zusammen mit Rasmus deren Zeitschrift Erkenntnis und Befreiung heraus. Mit wachsender Entfremdung vom Operettenbetrieb gerät er in immer größere finanzielle Bedrängnis. In der Hoffnung, dort ein neues Betätigungsfeld zu finden, zieht er 1922 nach Berlin. Nur ein Jahr später stirbt er mit 46 Jahren an einer Überdosis Schlafmittel.
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Sendung: "Allegro" am 2. November 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK