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Domenico Scarlatti Klaviersonaten

"Leser, seist du nun Dilettant oder Berufsmusiker, erwarte in diesen Kompositionen keine profunde Gelehrsamkeit, sondern eher ein heiteres, sinnreiches Spiel mit der Kunst, das dich der Meisterschaft des Cembalospiels näherbringen soll." So Domenico Scarlatti im Vorwort einer Sammlung, die 30 seiner zahlreichen Sonaten zusammenfasst. Ungefähr 35 Stunden – so lang würde es dauern, wenn man sämtliche 555 Sonaten für Cembalo spielen würde, die uns von Scarlatti überliefert sind. BR-KLASSIK hat mit dem Pianisten Ivo Pogorelich über diesen ganz eigenen musikalischen Kosmos gesprochen.

Bildquelle: picture-alliance / akg-images

Die Sendung zum Anhören

""Das Arbeiten an Scarlattis Werken macht mich unglaublich zufrieden", schwärmt Ivo Pogorelich. "Denn in diesem Prozess des Suchens nach neuen Wegen des Ausdrucks, nach einem Klang, der ganz klar und trotzdem voller Effekte ist, darin kann der Pianist bei Scarlatti regelrecht schwelgen. Das Material bietet unglaublich viele Möglichkeiten. Die Sonaten sind so voller Glanz, voller Schönheit, voller Humor, voll von einfachen, guten Klängen."

Ralph Kirkpatrick, der Entdecker

In fünfzehn kostbar gearbeiteten Bänden ruhten die Handschriften hinter Schloss und Riegel in Venedig, bis der Cembalist Ralph Kirkpatrick es sich zur Aufgabe machte, sie zu sichten und vor allem zu sortieren. Im Jahr 1940 unterrichtete Kirkpatrick an der Yale University und damals gab er einen kompetenten Katalog von Scarlattis Sonaten heraus. Auf diese Weise verewigte sich Kirkpatrick im Werk Scarlattis, denn vor jeder Sonate steht seither ein großes "K" für Kirkpatrick gefolgt von einer Zahl.

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Bescheidener Komponist

Der Entstehungszeitraum dieses gigantischen Sonaten-Schatzes bleibt vermutlich immer ein Mysterium. Denn der bescheidene Komponist Scarlatti veröffentlichte mit 53 Jahren sein Opus 1 "nicht aus Ehrgeiz, sondern nur aus Gehorsam", schrieb Scarlatti ins Vorwort – geschrieben hat er es unter Garantie Jahrzehnte früher. Mit Spürnasen durchstöberten englische Scarlatti-Forscher im 18. Jahrhundert sämtliche Sonaten. Wenn schon die Jahreszahlen im Dunklen blieben, so sollten doch zumindest die musikalischen Einflüsse beim Namen genannt werden können.

Mandolinenmelodien und Dudelsackklänge

Pianist Ivo Pogorelich | Bildquelle: Malcolm Crowthers Ivo Pogorelich | Bildquelle: Malcolm Crowthers Die Forscher wurden fündig. Der Musikgeschmack, der in Scarlattis Wohnorten Lissabon und Madrid angesagt war, spiegelt sich oftmals in Melodiebögen wieder – spitzt man die Ohren, so erkennt man Kastagnetten-Schnattern, Gitarrenakkorde und Mandolinen-Melodien. Scarlatti fürchtete sich obendrein auch nicht, Kirchenglocken, Feuerwerk, Katzengejammer oder die Bordunklänge von Dudelsäcken einzuflechten. Eine wahre Wonne für alle Hörer mit Sherlock-Holmes-Ambitionen ist übrigens die Sonate Kirkpatrick 87 in h-Moll: Der Pate dieser Sonate kommt aus Deutschland, er ist der unangefochtener Sonatenkönig, damals wie heute und heißt Johann Sebastian Bach.

Ich denke, die Philosophie seiner Musik liegt allein im Notenmaterial.
Ivo Pogorelich zu Scarlattis Sonaten

Sämtliche Raffinessen des Klavierspiels

Dem Pianisten Ivo Pogorelich ist es einerlei, welche biographischen Erlebnisse, welche Stationen des Lebens sich an den Sonaten Scarlattis ablesen lassen: "Ich denke, die Philosophie seiner Musik liegt allein im Notenmaterial", sagt er. "Bei mir steht nie die Biographie an erster Stelle, sondern immer die Musik, das Material. Denn das liegt schließlich vor mir." Als Unterrichtsmaterial hat Domenico Scarlatti diese Sonaten gedacht und auch ausgiebig verwendet. Im Untertitel nennt er sie darum "Essercizi". Wer alle 555 Sonaten problemlos spielen kann, der beherrscht sämtliche technische Raffinessen des Klavierspielens: Läufe, Arpeggien vom tiefsten bis zum höchsten Ton, dann Terzen, Sexten, Oktaven. Ferner Fingerwechsel, Triller und das Kreuzen der Hände.

Zeitgenössischer Scarlatti-Boom

Im 19. Jahrhundert interessierte sich kaum Jemand für Scarlatti. Erst vor rund 70 Jahren erschnüffelten Freaks die Sonaten wie einen dicken Trüffel. Allen voran Ralph Kirkpatrick.  Der Pianist Vladimir Horowitz überraschte rund um 1960 sein Publikum immer wieder mit einer Sonate von Scarlatti. Und seit den Neunzigerjahren erleben die 555 einsätzigen Werke einen Boom. Das bis dahin geltende Vorurteil: "Masse statt Klasse" hat sich in Luft aufgelöst. "Dazu kann ich nur sagen: bei Malern ist es ganz normal, dass sie über 500 Bilder gemalt haben", erklärt Ivo Pogorelich. "Einige sind Meisterwerke, andere nicht so überragend, aber wichtig. Ähnlich verhält es sich mit Scarlatti: Die Tatsache, dass Scarlatti so viele Sonaten geschrieben hat, wirkt sich so gut wie nicht auf die Qualität aus – das ist keine Fleißarbeit, sondern diese Sonaten reflektieren sein Lebenswerk."

Musik-Info

Domenico Scarlatti:
Sonaten für Klavier


Ivo Pogorelich (Klavier)
Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Das starke Stück" am 02. April 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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