Einen guten Monat vor seinem zwanzigsten Geburtstag vollendete Mozart sein Violinkonzert A-Dur KV 219 als Abschluss einer Reihe von insgesamt fünf Solokonzerten für Geige. A-Dur steht bei Mozart stets für eine Fülle von Schönheit. Doch Mozart wäre nicht Mozart, würden sich nicht gelegentlich auch sinistre, ja dämonische Untertöne finden. BR-KLASSIK stellt das Starke Stück zusammen mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter vor.
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Das Starke Stück zum Anhören
"Mein Herz, was webst du für Erinnerung?", hat Eduard Mörike einmal dichtend gefragt. Ja, welche Erinnerung webt Mozarts Herz hier, zu Beginn des A-Dur-Violinkonzerts? Und welche unseres, wenn wir diese Musik hören? So schnell, wie sie kam, ist sie dann wieder gegangen, diese plötzliche Adagio-Anwandlung aus Traum und Wehmut, hat sich aufgelöst in flirrendes Allegro und das seraphische Licht von A-Dur. Mozart und die Tonart A-Dur: eine Liebesbeziehung! Ob in der im Jahr vor unserem Violinkonzert entstandenen träumerisch schwebenden A-Dur-Symphonie KV 201, ob in der A-Dur-Klaviersonate KV 331 mit ihrem zarten Variationensatz, ob im späten Klavierkonzert KV 488, wo sich das A-Dur im Mittelsatz in weltverlorenes fis-moll wandelt, oder ob in Mozarts allerletztem Instrumentalkonzert, dem jenseitig sich aussingenden Klarinettenkonzert. Immer wieder scheint A-Dur bei Mozart für eine Fülle der Schönheit zu stehen, die fast schmerzt, weil sie vergehen muss. Und mag sich dieser Zusammenhang zwischen Schönheit und Vergänglichkeit beim späten Mozart zur Gewissheit verdichten, als Ahnung ist er auch hier, in diesem Violinkonzert, immer untergründig präsent.
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Bei den Neuaufnahmen war unsere Streicherbesetzung klein.
Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: Harald Hoffmann/DG Im weiträumigen E-Dur-Adagio verwandelt sich das Äther-Licht des ersten Satzes in einen zarten Schimmer. Die Solo-Violine stimmt einen innigen Gesang an, und wie in dem Adagio-Einschub am Beginn des ersten Satzes schweift sie bei ihrem Singen immer wieder für Augenblicke ab, scheint sich nach Moll wie in eine schmerzliche Ferne zu verlieren: Seelenbewegungen, deren Innerlichkeit nicht nur bei der Solo-Stimme feinstes Fingerspitzengefühl erfordert, sondern auch in der Behandlung des Orchester-Apparats. "Bei den Neuaufnahmen der Konzerte war unsere Streicherbesetzung klein", erinnert sich Anne-Sophie Mutter. "Das gibt dem Ganzen eine Spritzigkeit, eine Privatheit sowie eine Spontaneität, die mit einem Riesenschiff einfach nicht möglich ist. Das ist eine ganz andere Klangästhetik und damit auch eine andere Ästhetik der Phrasierung."
Die Alla-turca-Passage hat etwas sehr Dämonisches, fast Gefährliches an sich.
Das Finale des A-Dur-Konzerts beginnt rokokohaft-galant, wie man es für eine Komposition des Jahres 1775 für ganz natürlich halten würde: mit einem liebenswürdig zarten Menuett. Doch Mozart wäre nicht Mozart, hätte es damit schon seine ganze Bewandtnis. "Mozart hat immer wieder gerne überraschend Derbes eingeschoben – zum Beispiel dieses 'Alla turca' im Finale des A-Dur-Konzerts, erklärt Anne-Sophie Mutter. "Ich glaube, es hat etwas sehr Dämonisches, fast Gefährliches an sich. Ich denke immer an das Säbelrasseln in der 'Entführung aus dem Serail'"". Die fratzenhafte Kehrseite von A-Dur, nämlich a-Moll, steht bei Mozart die wenigen Male, da er diese Tonart verwendete, für unruhige Depressivität. Und wäre des Bedrohlich-Düsteren noch nicht genug, lässt er die Bässe in dieser Episode "coll' arco al rovescio" spielen, also mit dem Bogenholz, nicht dem Rosshaar auf die Saiten schlagen. Die Sologeige stimmt mit ein in den seltsamen Spuk – dann allerdings kehrt, als wäre gar nichts gewesen, das beschauliche Menuett zurück. Was war nun Maske? Was das wahre Gesicht? Mozart verbeugt sich ein letztes Mal, mit einer nach oben gerichteten Piano-Geste, die Antwort aber bleibt er – wie immer – schuldig.
Wolfgang Amadeus Mozart:
Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 A-Dur, KV 219
Anne-Sophie Mutter (Violine und Leitung)
London Philharmonic Orchestra
Boris Garlitsky (Konzertmeister)
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Das starke Stück" am 19. Dezember 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK