Im Juli gastiert Dirigentin Bar Avni bei den Herrenchiemsee Festpielen. Wie sich ihre Ausbildung zur klassischen Schlagzeugerin auf die Arbeit am Pult auswirkt, verrät sie im BR-KLASSIK-Interview. Außerdem spricht sie über die komplexe politische Situation in ihrer Heimat Israel.
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BR-KLASSIK: Bevor Sie Dirigentin wurden, haben Sie als Schlagzeugerin professionell im Orchester gespielt. Wie beeinflusst das Ihre Art zu dirigieren? Haben Schlagzeuger z.B. ein besseres Taktgefühl am Pult?
Bar Avni: Ich weiß nicht, ob es da ein besseres Taktgefühl gibt. Ich würde das ungern bewerten. Aber ich denke schon, dass unsere musikalische Herkunft – also wie wir in diese Musikwelt hineingekommen sind – eine Rolle spielt. Und ich denke, dass ich Musik instinktiv als Schlagzeugerin wahrnehme. Das beeinflusst mein Gehör auf jeden Fall sehr. Wir haben alle verschiedenen Dinge, die uns sofort ins Ohr springen, und Dinge, die wir uns vielleicht erst einmal beibringen müssen.
BR-KLASSIK: Sie arbeiten auch viel mit jungen Leuten zusammen, zuletzt mit dem Landesjugendorchester Hamburg oder auch mit Leverkusener Musikschulen. Wie gehen Sie an die Musikvermittlung bei jungen Menschen heran?
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Bar Avni: Es gibt ein riesiges Angebot in Deutschland. Da können wir stolz drauf sein. Eine Sache, die mir aber aufgefallen ist: Beim Dirigieren muss es nicht immer primär um Musik gehen. Manchmal denken Kinder, dass sie nicht genug wissen oder keine Ahnung haben. Das macht ihnen Angst. Ich habe ein kleines Modell entwickelt, bei dem wir mit einem Quintett in Schulen gehen – auch in Schulen, wo Kinder noch keine Berührung mit Musikinstrumenten haben. Wir spielen etwas, das sie kennen, zum Beispiel Weihnachtslieder oder Songs aus Filmen. Und dann frage ich, wer das Stück dirigieren möchte. Es ist interessant zu beobachten, wie sie dann ganz automatisch ein Bewusstsein für ihren Körper entwickeln. Denn sie merken, dass es nicht reicht, nur dazustehen, wenn sie die Aufmerksamkeit der Musiker haben wollen. Sie müssen etwas mit ihren Muskeln tun. Sie erleben, was passiert, wenn sie mit der Gruppe und vor der Gruppe kommunizieren. Es ist auch spannend zu sehen, wie die Kinder und Jugendlichen danach ihre Gefühle beschreiben. Sie nehmen sich mehr wahr, auch physisch.
Ich nehme Musik instinktiv als Schlagzeugerin wahr.
BR-KLASSIK: Haben Sie auch etwas von den Kindern gelernt?
Bar Avni: Die meisten Kinder sind am Anfang erst einmal schüchtern. Interessant ist, was passiert, wenn sich die erste Person getraut hat, nach vorne zu gehen. Wie verhalten sich die anderen Schüler? Was macht das mit der Dynamik? Das ist sehr spannend.
BR-KLASSIK: Sie leben schon länger in Deutschland, dirigieren aber auch immer wieder in Ihrem Heimatland Israel. Wie ist das momentan?
Bar Avni: Wir hatten schon leichtere Zeiten. Aber man merkt, dass Kunst den Menschen guttut. Die Säle sind voll. Die Menschen konsumieren Kunst aller Genres auf alle Arten. Es geht, glaube ich, darum, etwas non-verbales zu erleben. Das öffnet die Möglichkeit, wirklich voll in dem Moment zu sein. Das gibt uns Menschen einen anderen Raum, um uns selbst zu erleben. Das ist gerade sehr kostbar.
BR-KLASSIK: Wie wird die israelische Kulturszene aus Ihrer Sicht momentan von der aktuellen politischen Lage beeinflusst?
Bar Avni: Die Situation ist angespannt. Das beeinflusst auch die Kompositionen oder Tanzstücke. Künstlerisch kommen da krasse Emotionen heraus. Es hat vielleicht ein gewisses Geschmäckle, wenn ich das so sage, aber für die Kreativität können solche Phasen sogar gut sein. Vielleicht ist das das Gute in dem Schlechten. Ich merke gerade, dass es gar nicht so leicht ist, darüber zu sprechen.
Ich denke, von außen ist es schwierig wahrzunehmen, wie komplex es eigentlich ist.
BR-KLASSIK: Werden Sie als gebürtige Israelin hier in Deutschland oft auf das Thema Israel angesprochen?
Bar Avni: Ja, ich werde immer wieder dazu befragt. Ich denke, von außen ist es schwierig wahrzunehmen, wie komplex es eigentlich ist. Von außen wirkt es einfacher und klarer, als es ist. Wenn es einfach wäre, wäre dieser Konflikt längst vorbei. Es ist unglaublich kompliziert. Manchmal habe ich das Gefühl, wir möchten die Dinge gern vereinfachen. Nicht nur diesen Konflikt, sondern generell. In 99 Prozent der Fälle sind die Dinge aber nicht so. Mir ist es wichtig, diese Komplexität immer wieder auf den Tisch zu bringen, denn das ist ein wichtiger Teil davon.
BR-KLASSIK: Das ist sicher nicht leicht. Wie kann das gelingen?
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Bar Avni: Ich habe letzte Woche bei einem Konzert in Wien etwas sehr Schönes erlebt. Ich saß mit dem Pianisten im Künstlerzimmer und wir haben uns gut unterhalten, unter anderem über das Wetter, aber auch über die Komplexität des Lebens und der Politik. Und irgendwann sagt er: "Weißt du, dass meine Frau Palästinenserin ist?" Auf einmal fehlten mir die Worte, ich hatte einfach nur Tränen in den Augen. Ich habe mich der anderen Seite so nah gefühlt. Ich habe nur gesagt, dass es mir leidtut. Der Mann hatte dann auch Tränen in den Augen. Und er meinte: "Weißt du, das hören wir gar nicht so oft". Dabei ging es gar nicht um eine Meinung, sondern darum, das Leiden der anderen Seite oder der anderen Person wahrzunehmen. Das bedeutet nicht, dass man selbst nicht leidet. Ich leide, die anderen leiden. Wenn wir uns aber gegenseitig sehen, dann ist da viel Potential. Das war dann ein sehr berührendes Konzert.
BR-KLASSIK: Im Juli spielen Sie bei den Herrenchiemsee Festspielen. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Bar Avni: Es ist eine doppelte Freude. Ich freue mich auf das tolle Orchester und darauf, viel von den Musikern zu lernen. Ich bin im besten Sinne aufgeregt. Wir spielen ein Repertoire, das zum Kern des Orchesters gehört – Mozart und Haydn. Ich bin sehr glücklich, dass ich das im Sommer machen kann.
Alexandra Dovgan, Klavier
Kammerorchester Basel
Bar Avni, Leitung
Programm:
Wolfgang Amadeus Mozart:
Musik zu "Thamos, König in Ägypten" KV 345 (336a)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll, KV 466
Joseph Haydn:
Symphonie Nr. 92 G-Dur, Hob. 1:92 "Oxford"
Der Konzertabend "Klassik-Blüten" findet am 22. Juli 2025 im Spiegelsaal statt. Beginn ist um 19 Uhr. Weitere Informationen finden Sie hier.
Sendung: "Leporello" am 23. April 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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