Berlin, 19. Mai 1789. Wolfgang Amadeus Mozart findet nicht einmal Zeit, sich umzuziehen. Eben ist er in Berlin angekommen. "Was für ein Zufall", sagt man ihm. "Gerade beginnt im Opernhaus Ihr Singspiel 'Die Entführung aus dem Serail'". Also nichts wie hin! Man spielt schon die Ouvertüre.
Bildquelle: picture-alliance / akg-images
Die Sendung zum Anhören
Bild: Mozart im Königlichen Opernhaus Berlin am 19. Mai 1789 bei der Aufführung seiner "Entführung"
Man mustert ihn: Wer ist dieser kleine schlecht gekleidete Mann mit den schmutzigen Schuhen? "Rasch, beweglich und blöden Auges, eine unansehnliche Figur im grauen Überrock" – so erinnert sich der Schriftsteller Ludwig Tieck. Auch ihm fällt die abgerissene Gestalt auf. Manchmal scheint der Fremde sich zu freuen, dann wieder fuchtelt er herum und verzieht das Gesicht. Und ständig brummt er die Melodien aus der "Entführung" vor sich hin. Es wird unruhig im Saal. "Was erlaubt sich der Mann! Man sollte ihn hinauswerfen!" Schließlich – "das ist ja nun wirklich die Höhe!" – drängt er sich sogar zum Orchester vor und ruft: "Verflucht, wollt ihr D greifen!"
Die zweiten Geigen hatten sich verspielt, mehrmals, mitten in einer Arie. Endlich wird man auch auf der Bühne auf ihn aufmerksam. Die Frau, die Blonde spielt, weigert sich weiter zu singen. Die Musiker glauben den Mann zu erkennen. Auch der Musikdirektor dreht sich um: "Das ist doch ... Ist es möglich?" Tumult im Saal. Wie ein Lauffeuer spricht es sich herum. Man holt ihn auf die Bühne. "Monsieur, wie ist Ihr Name?" – "Mozart, Wolfgang Amadé". Der Beifall ist ohrenbetäubend.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
W.A.Mozart: Die Entfuehrung aus dem Serail Ovt - Sascha Goetzel / Borusan Istanbul Philharmonic
Am nächsten Abend leitet Mozart selbst die Vorstellung, in Anwesenheit des Königs. Die Stimmung ist gut, und Mozart trägt jetzt saubere Schuhe. Das Orchester, lobt er hinterher, sei "die beste Versammlung von Virtuosen der ganzen Welt, die freilich noch besser sein könnte, wenn die Herren zusammenspielen würden."
Ein Berliner wird Mozart nicht, obwohl man ihm – im Vergleich zu Wien – das vierfache Jahresgehalt bietet. Aber man bleibt ihm in Berlin gewogen. Man bestellt bei ihm Klaviersonaten und Streichquartette und entlohnt ihn fürstlich. Nach seinem Tod veranstaltet man Benefizkonzerte für seine Witwe Konstanze, und vom Glockenturm der Garnisonskirche ertönt fortan alle halbe Stunde die Melodie "Ein Mädchen oder Weibchen" aus der "Zauberflöte".
Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.
Sendung: "Allegro" am 19. Mai 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK