Als Camille Saint-Saëns seine Suite 1863 für Violoncello und Klavier komponierte, dürfte diese Form eher altbacken gewirkt haben. Und doch markierte genau dieses sich auf die Tradition besinnende Stück einen Schritt vorwärts in Saint-Säens' Karriere. Im Jahr 1911 nahm sich der Komponist die Suite noch einmal vor: Er änderte die Satzfolge und orchestrierte das ganze Werk. Sylvia Schreiber stellt die Komposition mit dem Cellisten Johannes Moser vor.
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"Was mich so begeistert an dem Stück: dass es ganz fein orchestriert ist", sagt Johannes Moser. "Ab und zu mal ein paar Holzbläser, nie ein wirklich fetter Orchestersound. Wir haben es mit feinen Klängen zu tun. Das merkt man vor allem im ersten Stück, im Prélude." Das Cello scheint in einen inneren Monolog versunken zu sein. Es klingt, als ob da jemand hin- und herpendelt zwischen Sorge und Hoffnung, zwischen Verzweiflung und Hingabe, zwischen Liebenswürdigkeit und Aufbegehren. Und die Holzbläser forcieren mit saftigen Akzenten, mit pointierten Akkorden die ambivalente Stimmung des Soloinstrumentes.
Saint-Saëns hätte es sich mit der orchestrierten Fassung leicht machen und einfach nur die Urversion aufbrühen können. Das Orchestergewand wäre dann nichts weiter als ein dekorativer Milchschaum. Aber das kam für den Komponisten überhaupt nicht in Frage. Man könnte beinahe denken, er habe ein verkapptes drittes Cellokonzert im Sinn gehabt. Denn er plustert eben nicht sein Jugendwerk mit Streicherklängen auf, frisiert den Motor, um ein paar Stundenkilometer mehr heraus zu peitschen. Nein, Saint-Saëns komponierte zwei Sätze komplett neu. So entstehen eine Gavotte als dritter Satz und eine Tarantella als "Rausschmeißer". Dem Komponisten ist nämlich in der Urfassung für Violoncello und Klavier die Begleitung zu pianistisch angelegt, und er befürchtet, das Soloinstrument würde mit einem vollen Orchester an der Seite seine Position als "Platzhirsch" verlieren. Damit erklärt sich auch der einzigartige Charme des Werkes: In dieser Suite treffen quasi in einer Co-Produktion der Jungspund Saint-Saëns und der Künstler als reifer Mann in einem Werk aufeinander. Zudem verneigt sich Saint Säens im Prélude, also im Präludium, ganz offensichtlich vor Johann Sebastian Bach.
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"Ich weiß, dass Saint-Saëns der deutschen Musik zunächst sehr nahestand, als er das Stück schrieb", erklärt Johannes Moser. "Nach dem deutsch-französischen Krieg hat er sich zwar gegen die deutsche Musik ausgesprochen, aber nichtsdestoweniger war er von ihr sehr beeinflusst. Das Prélude ähnelt ein bisschen den Präludien aus Bachs Cello-Solosuiten. Ich denke, diesen harmonischen Eingangsgesang seiner eigenen Suite wird sich Saint-Saëns von Bach abgeschaut haben."
Der Cellist Johannes Moser | Bildquelle: Sarah Wijzenbeek Während im ersten Satz noch ein Wirrwarr der Emotionen vorherrscht, wird der zweite Teil seinem Titel voll gerecht: "Serenade" – ein am Abend gesungenes Lied. Die Anmutung ist feierlich, liebevoll und doch voller Sehnsucht, gerade so, als würde das Cello einen anmutigen, herzerweichenden Gesang vor dem Fenster der Geliebten anstimmen. Mit einem unaufdringlichen Flötensolo beweist Saint-Saëns einmal mehr, wie exzellent er das Orchestrieren beherrscht. Immerhin hatte er sich zu jenem Zeitpunkt längst etabliert. Seine Klavierkonzerte, die Cellokonzerte und der "Karneval der Tiere" waren bereits geschrieben. Das samtweiche Cello geht mit der Flöte einen luftigen Flirt ein. Die Version mit Klavier klingt dagegen vergleichsweise spröde. Den dritten Satz, eine Gavotte, hat Saint Säens höchst anspruchsvoll gestaltet. Fingerfertigkeit ist nun gefragt, und mit technischen Tücken spart der Komponist nicht gerade. Doch darf diese Virtuosität ja nicht zur Schau gestellt werden, wie eine Akrobatiknummer unter der Zirkuskuppel. Pizzicati und Doppelgriffe loten zudem verschiedene Klangfarben des Cello aus. Saint-Saëns hat dem Cellisten genau auf die Hände geschaut und seine dabei gewonnenen Erkenntnisse subtil umgesetzt.
In der folgenden Romanze schraubt Saint-Saëns nicht nur das Tempo zurück. Auch vom tänzerisch-leichtfüßigen Wippen des Bogens über die Saiten bleibt nichts übrig. Mit tiefer Empfindsamkeit trägt das Violoncello nun seine wehmütige Melodie vor. Hier wäre es ein Leichtes für Saint-Saëns gewesen, aus den Tönen den Weltschmerz triefen zu lassen. Gerne bedient das Cello ja das Klischee des Melancholikers. Aber im Wechselspiel mit den manchmal kindlich naiven, manchmal beherzten Holzbläsern spricht aus der Solostimme eine erfahrene, dabei doch bescheidene Lebensweisheit.
"Ich habe die Suite, bevor ich in die Aufnahme gegangen bin, mit meinem Pianisten gespielt", erinnert sich Johannes Moser. "Der sagte mir, dass es auch eine Version für Horn davon gibt. Insofern war es interessant, auch diese Version zu hören. Dabei fiel mir auf, dass man das Stück nicht zu melancholisch nehmen darf: Man muss einen Fluss haben."
Man darf nicht in der Melancholie baden, nicht zu selbstgefällig sein.
Nicht selbstgefällig oder selbstverliebt zu sein, darin äußert sich nicht nur ein wesentlicher Charakterzug des Komponisten. Das verlangt auch vom Solisten ein Verzicht auf Allüren. Im Grunde hat der Solist in dieser Suite keine Chance, gleichsam wie ein Stierkämpfer mit stolzgeschwellter Brust in die Arena zu stolzieren, nach dem Motto: "Schaut her, da bin ich!" Die immer wieder variierenden "Spielchen" zwischen dem Solisten und einzelnen Instrumentengruppen schaffen die berührende Nähe eines kammermusikalischen Werkes, ohne dabei allzu intim zu werden. Und selbst im letzten Satz, einer frechen, derben Tanznummer, lässt das Cello nicht nur die Muskeln in furiosen Läufen spielen, sondern distanziert sich mitunter fast ironisierend vom turbulenten Tenor dieser Tarantella. Der Komponist arbeitet dabei mit diesem Tarantella-Thema, als hätten wir es mit einer Fuge zu tun! Einmal mehr zeigt Saint-Saens, dass er bei Bach gelernt hat. Und damit schließt sich auch auf geschmeidige Art der Kreis zum ersten Satz, dem Prélude.
"Das Reizvolle an so einer Suite sind die Unterschiede, die Reibungen", sagt Johannes Moser abschließend. "Ich würde sagen, dass man mit dieser Tarantella, diesem Rausschmeißer, wieder auf der Erde angekommen ist. Diese Reise in diesem Stück ist eine sehr farbenfrohe Reise. Und obwohl das Werk nun wirklich nicht so bekannt ist, kann man eine ganze Reihe verschiedener Emotionen durchleben."
Camille Saint-Saëns:
Suite für Violoncello und Orchester op. 16
Johannes Moser (Violoncello)
Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR
Leitung: Fabrice Bollon
Label: Hänssler Classic
Sendung: "Das starke Stück" am 23. April 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK