Eine Kulturmanagerin mit Weitblick: Seit 2019 leitet Bettina Binder die Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks – die ist für den Orchesternachwuchs unverzichtbar und feiert im Herbst 25-jähriges Jubiläum. Im Interview erzählt Binder unter anderem, wie die Akademie stetig weiterentwickelt wird und warum Mentoren eine prägende Rolle spielen.
Bildquelle: Astrid Ackermann
BR-KLASSIK: Frau Binder, der Begriff Akademie klingt nach Wissenschaft, Forschung und Lehre, also nach Theorie. Was genau leistet denn die Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks?
Bettina Binder: Die BRSO Akademie füllt die Lücke zwischen Theorie und Praxis. Die jungen Musiker:innen haben ihre Ausbildung normalerweise an einer Musikhochschule absolviert und wollen perspektivisch in einem Orchester landen. Diese Lücke füllen Orchesterakademien. Es geht um Praxiserfahrung in Orchestern, sich weiterzuentwickeln, auch in der künstlerischen Persönlichkeit, und perspektivisch auch darum, einen der begehrten Plätze in einem Orchester zu ergattern.
BR-KLASSIK: Mittlerweile haben die meisten Spitzenorchester eigene Akademien.
Bettina Binder: Das ist richtig. Ich beobachte, dass immer mehr Akademien entstehen. Eine interessante Entwicklung, die auch zeigt, dass Bedarf da ist, dass die Lücke nach wie vor nicht geschlossen ist und dass die Akademien wichtige Arbeit leisten zwischen Ausbildung und Beruf. Die Erfolge nicht nur unserer Akademie zeigen, wie essentiell diese Einrichtungen grundsätzlich sind. Jene Stellen, die unsere Akademist:innen nach ihrer Ausbildung gewinnen, belegen, dass diese Ausbildungsinstitution für die jungen Musiker:innen ein Sprungbrett ist.
BR-KLASSIK: Beim Gründungskonzert 2001 waren an der Geige Marije Grevink und David van Dijk und der Kontrabassist Philipp Stubenrauch aus der ersten Akademisten-Riege dabei. Kurz darauf wurden sie als feste Mitglieder ins Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks übernommen. Ist die Akademie auch ein Pool für das BRSO?
Bettina Binder: Im besten Fall ist das so. Grundsätzlich bilden wir als Orchesterakademie für alle Berufsorchester aus. Aber natürlich freuen wir uns immer besonders, wenn unsere talentierten jungen Menschen im BRSO landen. Inzwischen haben wir 19 ehemalige Akademist:innen im Orchester. Für unser Orchester bietet sich dadurch die Möglichkeit, die jungen Menschen über zwei Jahre intensiv zu beobachten, zu begleiten, auch zu coachen. Und wenn es dann gelingt, jemanden ins Orchester zu begleiten, dann ist das ein besonderer Erfolg.
Das Interview mit Bettina Binder über die BRSO Akademie und ihren Werdegang können Sie am Freitag, 28. März 2025 ab 19:03 Uhr in der Sendung "Klassikplus" auf BR-KLASSIK hören.
BR-KLASSIK: Zur Ausbildung an der Akademie gehört Instrumentalunterricht von Mitgliedern des BRSO, aber auch mentales Training. Was noch?
Bettina Binder: Unsere 18 Stipendiat:innen bekommen während ihrer zweijährigen Fortbildung ein monatliches Stipendium und können sehr intensiv im Orchester mitspielen. Dann haben sie die Möglichkeit, Einzelunterricht zu nehmen, und zwar bei allen Orchestermitgliedern – sie dürfen sich aussuchen, bei wem sie Unterricht haben möchten. Eine Geigen-Akademistin kann auch Unterricht beim Solo-Oboisten des BRSO nehmen. Wichtige Bestandteile sind außerdem Kammermusik, Mentalcoaching, Musikvermittlung, Auftrittstraining und vor allem Probespiel-Training. Darüber hinaus bieten wir Gesundheitsvorsorge in Form von Yoga für Musiker:innen an.
BR-KLASSIK: Das ist aber noch nicht alles...
Bettina Binder: Dazu gibt es Workshops zu Themen, die für Orchestermusiker:innen immer relevanter werden: Wie stelle ich mich in der Öffentlichkeit als Musikerin und Musiker in den sozialen Medien dar? Wie mache ich gute Video- und Audioaufnahmen? Meine Kollegin Luisa Sophie Fischer und ich überlegen: Was ist gerade der Bedarf? In welche Richtung entwickelt sich die Orchesterlandschaft? Was wird von den Orchestermusiker:innen in Zukunft erwartet? Wir versuchen immer wieder zu reflektieren: Welche Teile der Ausbildung müssen wir anpassen und was müssen wir zusätzlich anbieten?
Freie Stellen im Orchester: Das Probespiel-Dilemma
BR-KLASSIK: Ein Alleinstellungsmerkmal der BRSO Akademie ist, dass Sie im Münchner Norden ein eigenes Haus haben, eine Art Studentenwohnheim mit 18 Appartements, Übe- und Proberäumen. Was bringt das?
Bettina Binder: Sir Simon Rattle sagte, als wir im Herbst unser gemeinsames Projekt mit ihm hatten: Man merkt den Stipendiat:innen unserer Akademie an, dass sie in diesem Akademiegebäude zusammenleben. Da ist ein großer Zusammenhalt, sie lernen auch voneinander unglaublich viel. Unterschiedliche Kulturen treffen aufeinander, das schult enorm, sie lassen sich in diesen zwei Jahren darauf ein, profitieren von unterschiedlichen Hintergründen, lernen verschiedene Nationen und Länder kennen – das alles trägt zu ihrer Entwicklung bei.
BR-KLASSIK: Sie sind seit 2019 eine der beiden Geschäftsführerinnen der BRSO Akademie. Wie war Ihr Weg dorthin?
Bettina Binder: Ich habe bis 2012 Klavier, Schulmusik und Germanistik studiert, in Freiburg und Sydney. Mein Interesse ging schon während des Studiums in Richtung Kulturmanagement, ich habe damals Festivals und Meisterkurse organisiert. Außerdem ist man während des Klavierstudiums sehr viel für sich allein. Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch und mag es, wenn Menschen um mich herum sind. Damit war für mich klar, mich in Richtung Kulturmanagement weiterzubilden. Nach dem Studium hatte ich die wunderbare Möglichkeit, beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks anzufangen. Ich war zunächst in der künstlerischen Produktion tätig. Anschließend durchlief ich weitere Stationen, darunter in der künstlerischen Planung und als Referentin des Managers und konnte das ganze Feld des Orchestermanagements kennenlernen. Dann habe ich ein berufsbegleitendes zweijähriges Management-Studium in Stockholm absolviert. 2019 habe ich mich dann für die Stelle der Geschäftsführung bei der BRSO Akademie beworben.
BR-KLASSIK: Seit 2022 teilen Sie sich die Geschäftsführung paritätisch mit Luisa Sophie Fischer. Was sind Ihre Hauptaufgaben und neuen Herausforderungen?
Bettina Binder: Die Hauptaufgabe ist natürlich, die Ausbildung in dieser Qualität weiterzuführen und auch weiterzudenken. Auch zu hinterfragen: Sind wir noch auf einem guten Stand? Für uns ist es ganz wichtig, immer wieder auch die Stipendiat:innen selber zu fragen, nachdem sie die Akademie absolviert haben: Was war gut? Was war vielleicht weniger gut? Was würdest Du Dir mehr wünschen? Daran orientieren wir uns stark. Die Herausforderungen für die Zukunft liegen wie bei allen Kulturinstitutionen natürlich bei der Finanzierung. Da sind wir gerade sehr intensiv dran, deswegen auch die Doppelspitze, weil wir gesagt haben, wir können alles auf einmal parallel und gleichzeitig in der Form nicht leisten. Deswegen bin ich auch vorrangig dafür zuständig, dass die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Wir sind gerade dabei, einen Förderkreis aufzubauen mit Unterstützer:innen, die uns helfen, die Ausbildung mit Privatspenden zu finanzieren. Als gemeinnütziger Verein ist das natürlich möglich und für den Erhalt der Ausbildung essentiell.
BR-KLASSIK: Frau Binder, Sie haben einen dreijährigen Sohn. Ich komme jetzt natürlich auf die Vereinbarkeit von Kind, Familie und Job. Warum stellt man berufstätigen Vätern diese Frage selten oder nie?
Bettina Binder: Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Ich glaube, das hängt mit veralteten Rollenbildern zusammen. Denn es ist ja nach wie vor so: Frauen sind einfach für das Familiäre zuständig und müssen dann eventuell auch den Beruf zurückschrauben. Und das ist eben auch der Grund, warum sich viele Frauen nicht in diese beruflichen Rollen wagen, weil das von der Gesellschaft erwartet wird. Und weil genau diese Rollenverteilung leider noch vorherrschend ist. Da muss man noch einiges tun, damit wir besser, also gleichwertig aufgestellt sind.
BR-KLASSIK: Sie engagieren sich auch sehr für das Thema Frauen in Führungspositionen. Ich höre in solchen Gesprächen immer wieder: Es mangelt vielfach an Selbstvertrauen. Während Männer oft mehr Ellenbogen zeigen und sagen, klar, mache ich, ist das bei Frauen weniger ausgeprägt.
Bettina Binder: Ich würde nicht unbedingt sagen Selbstvertrauen. Ich glaube, das haben viele Frauen. Es fehlt aber dieser Mut, einfach mal zu wagen, einfach mal zu machen und vielleicht auch Fehler in Kauf zu nehmen, weil diese Angst davor, Fehler zu machen, leider vorherrschend ist. Ich glaube, man darf ruhig auch mal ins kalte Wasser springen und neue Dinge wagen. Das trauen sich Männer vielleicht eher.
BR-KLASSIK: Sie haben auch ein eigenes Forum gegründet, alma – Alliance of Leaders in Music and Arts. Das ist doch genau für diese Zielsetzung gegründet worden?
Bettina Binder: Ja, alma ist ein Netzwerk und eine Initiative, mit der wir versuchen, engagierte Menschen zusammenzubringen und auch gewisse Themen zu setzen. Es geht aber in erster Linie um Austausch, um Weiterbildung, auch um ständiges sich Weiterentwickeln, um Lernen, Dazulernen. Einfach weil wir feststellen, dass gerade im Kulturbereich manche Themen nicht in paritätischer Weise besprochen werden. Vieles wird einfach so weitergemacht wie bisher, und wir glauben, da braucht es Veränderung.
BR-KLASSIK: Mentorinnen und Mentoren sind enorm wichtig, was auch bei der Akademie eine große Rolle spielt. Auch bei Ihrer Entscheidung, die Geschäftsführung der Akademie zu übernehmen, war ja eine Mentorin sehr wichtig?
Bettina Binder: Ja, Mentor:innen sind unglaublich wichtig. Ich hatte in meiner Laufbahn immer wieder Personen an meiner Seite, die mich unterstützt haben. Das war ganz zu Beginn bei unserem Schulmusik-Studium Carola Reul, sie ist jetzt aktuell beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Intendantin, mit der ich mich sehr intensiv über Managementthemen und Frauen in Führungspositionen ausgetauscht habe.
Ganz wichtig für mich persönlich war Ilona Schmiel von der Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Ich habe sie bei einem Vorstellungsgespräch während meiner Stockholmer Zeit kennengelernt. Und sie hat mich danach einfach angesprochen und gesagt: Melden Sie sich, wenn Sie Unterstützung brauchen, ich bin für Sie da und bin gerne Ihre Sparringspartnerin. Das hat mich unglaublich beeindruckt, wir kannten uns ja kaum. Ich habe sie dann hinzugezogen, als es um die Stelle der Geschäftsführung hier bei der BRSO-Akademie ging, und habe mich intensiv mit ihr beraten. Das hat mir unglaublich geholfen. Für mich persönlich ist es tatsächlich ein Anreiz und auch ein wichtiger Punkt, diese Form der Unterstützung weiterzutragen, zu anderen Menschen, die Rat und Unterstützung benötigen. Gerade Frauen sollten sich gegenseitig viel mehr unterstützen.
BR-KLASSIK: Seit seinem Amtsantritt beim BRSO 2023 ist Chefdirigent Sir Simon Rattle Schirmherr der BRSO Akademie. Das war vermutlich ein ganz großer Motivationsschub auch für die Akademie?
Bettina Binder: Das war unglaublich, als das bekannt wurde. Wir haben uns als Akademie natürlich riesig gefreut, einfach weil Sir Simon für das Thema Nachwuchs steht. Ihm ist es sehr wichtig, mindestens ein Projekt in der Saison mit der Akademie allein zu machen. Ich oder auch meine Kollegin, wir sitzen immer wieder in den Abschlussgesprächen mit den Stipendiat:innen und fragen: Was war denn Dein Highlight in der Akademiezeit? Und die Antwort ist sehr häufig das Akademie-Projekt mit Sir Simon Rattle, weil sie davon unglaublich profitieren, von seiner Art und seiner Musikalität, aber auch von seiner Menschlichkeit. Er ist ein Vorbild in so viele Richtungen, und das tragen die Stipendiat:innen dann auch weiter in ihr Leben hinein.
BR-KLASSIK: Im Herbst wird das 25-jährige Jubiläum der Akademie groß gefeiert?
Bettina Binder: Ja, wir feiern unser Jubiläum in der kommenden Saison vorrangig mit drei Konzerten. Am 21. September haben wir mit Sir Simon Rattle unser Jubiläumskonzert. Darauf freuen wir uns ganz besonders, weil wir ein wunderschönes Programm haben. Auch von der Programmgestaltung her ist es immer sehr interessant, mit Sir Simon zusammenzuarbeiten, weil er einfach spannende Ideen hat. Was wir hören am 21. September, darf ich schon verraten. Zum Auftakt gibt es Strawinskys Concerto in Es "Dumbarton Oaks" für Kammerorchester. Sir Simon war es wichtig, auch Sasha Scolnik-Brower als Stipendiaten des "Bernard Haitink Conducting Fellowship" dabeizuhaben, der als junger Nachwuchsdirigent bei dem Konzert mitwirken wird. Wir werden Wagners "Siegfried-Idyll" hören, Aaron Coplands "Music for the Theatre" und – das ist natürlich besonders spannend: Sir Simon Rattle wird Beethovens Fünfte Symphonie dirigieren, die wir mit der Akademie-Besetzung realisieren und mit unseren Alumni aufstocken. So schließt sich dann wieder ein Kreis.
Sendung: "Klassikplus" am 28. März 2025 ab 19.03 Uhr auf BR-KLASSIK
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