Olmütz, 10. Januar 1883. Gustav Mahler steigt aus dem Zug. Wieder hat es ihn in die Provinz verschlagen – zum dritten Mal. Und zum dritten Mal springt er für einen Dirigenten ein, der sich aus dem Staub gemacht hat. Nicht gerade ein Traumjob – obwohl er als Erster Dirigent ans Theater dieser Stadt engagiert wurde. Aber mit 22 Jahren kann man sich die Angebote eben nicht aussuchen.
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Außerdem: Schlimmer als das Engagement beim Kurorchester in Bad Hall und die unsägliche Spielzeit in Laibach kann es nicht mehr werden – auch wenn in Laibach Verdi, Mozart und Weber auf dem Programm standen. Allein dieses mittelmäßige Orchester! Und dann das restliche Repertoire: Operettenkost, Rossini, Gounod! Was gäbe Mahler dafür, eine Wagner-Oper zu dirigieren… Zukunftsträume! Jetzt heißt es, Erfahrungen am königlich städtischen Theater in Olmütz zu sammeln.
Am 16. Januar soll Premiere von Meyerbeers "Hugenotten" sein. Doch schon in der ersten Probe sorgt der jugendliche Heißsporn, der es nicht mal für nötig hält, sich vorzustellen, bei den Theatermitgliedern für Unmut. Was für ein Ehrgeizling! Und dieser Dirigierstil, diese Ignoranz gegenüber Beschwerden, diese übersteigerten Ansprüche! In der Kneipe bestellt er sich auch nur Wasser, Spinat und Äpfel, anstatt mal ein Bier mitzutrinken!
Von dem Moment, da ich die Schwelle des Olmützer Theaters übertrat, war mir zu Mute, wie einem, den des Himmels Strafgericht erwartet
Das Mährische Theater in Olmütz – die Stätte von Mahlers "Frondienst" | Bildquelle: Wikimedia Commons Mahler ist nicht weniger enttäuscht von den Musikern – nur aus anderen Gründen: "Von dem Moment, da ich die Schwelle des Olmützer Theaters übertrat, war mir zu Mute, wie einem, den des Himmels Strafgericht erwartet", beklagt er sich. "Wenn man das edelste Ross mit Ochsen vor einen Karren spannt, kann es nichts anderes, als im Schweiße mitziehen… Wagner und Mozart habe ich standhaft aus dem Repertoire herausintrigiert – denn das könnte ich nicht ertragen." Doch er kämpft weiter – unerbittlich. Mit Étienne-Nicolas Méhuls "Joseph in Ägypten" gelingt es ihm schließlich immerhin, alle zumindest ein bisschen aus dem Trott der gewohnten Routine heraus zu locken: "Haben aus Mitleid mit diesem Idealisten etwas mehr Ernst eingesetzt" – so schätzt Mahler die Situation realistisch ein. "Oft, wenn ich so mitten im Feuer bin, und sie mitreißen möchte – und sehe die staunenden Gesichter dieser Menschen, wie sie sich gegenseitig verständnisvoll anlächeln – da möchte ich für immer davonrennen."
Vier Monate später rennt Mahler tatsächlich davon. Der Chefregisseur der Dresdner Hofoper hat ein gutes Wort beim Intendanten des Königlichen Theaters in Kassel eingelegt. Die verhasste Provinz liegt endlich hinter dem begabten Senkrechtstarter. Es wird weiter bergauf gehen. Bald wird man dem Dirigenten Mahler in aller Welt zu Füßen liegen.
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