New York, 10. September 1935. Sechs Tage war der Ozeandampfer "Majestic" unterwegs. Die Passagiere sind voller Hoffnung auf ein neues, ein freies Leben. Auch Kurt Weill. Weill und seine Frau Lotte Lenya haben nur ein paar wenige Koffer dabei, mit abgetragenen Anzügen, Kostümen, die aus der Mode gekommen sind, Büchern, sehr vielen Noten und Listen mit Adressen und Telefonnummern.
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Hier kennt sie erst mal keiner. Und zum Zeichen des Neuanfangs legt Weill die deutsche Sprache ab, als wäre sie ein zerlumpter, ein ausgedienter Mantel. Fortan spricht er nur Englisch. Er wiederholt alles Gehörte wie ein Papagei. Noch im Februar schrieb er an Lotte Lenya: "Ich spreche gar nicht gut Englisch. Du sprichst sicher besser, du gewöhnliche Person!" Und so tappt Weill auf der Überfahrt vom französischen Cherbourg nach New York in das eine oder andere englische Fettnäpfchen. Einen Mitreisenden, dem speiübel ist und der sich, gepeinigt vom Wellengang über die Reling hängt, bezeichnet Weill als "hässlich", dabei meint er wohl eher "elend".
Aber Weill schämt sich nicht. Er hängt an den Lippen jedes New Yorker Kellners, Gemüsehändlers, Musikers. Und zuhause, mit Lotte, wird auch nur englisch gesprochen. "Ihr Akzent ist unverkennbar, aber idiomatische Redewendungen plappern sie nur so daher", äußert sich ein Zeitgenosse. Karrieremäßig läuft es leider noch nicht wie geschmiert. Drei Monate nach Kurt Weills Ankunft wird er in die "League of Composers" aufgenommen. Eigentlich eine Ehre. Aber beim feierlichen Konzert flieht das Publikum scharenweise. Lotte Lenya singt Auszüge aus Werken von Weill. Was in Europa unglaublich modern wirkt, empfinden die Amerikaner als dilettantische Kopie ihrer swingenden Broadway-Hits.
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"Speak Low" written and performed by Kurt Weill
Kurt Weill weiß sich zu helfen und dreht an einigen Schräubchen. Er wird zum Meister des sich wandelnden Stils. Manch einer in Europa kreidet ihm das als Schwäche an, wie beispielsweise Theodor Adorno. Für Kurt Weill ist es Teil seiner Lebensphilosophie, wo es immer um das Suchen geht, nie um das "Sonnen im Erfolg".
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