Brahms, Grieg, Tschaikowsky: Ethel Smyth kannte sie alle, stritt mit ihnen und ließ sich von ihnen inspirieren. Als Komponistin in einer Männergesellschaft. Wie sie diesen Austausch erlebt hat, beschreibt sie in ihren Memoiren, die jetzt unter dem Titel "Paukenschläge aus dem Paradies" erschienen sind.
Bildquelle: picture alliance/United Archives/WHA
Der Komponist Johannes Brahms ist eher der sprunghafte und schweigsame Typ. Nur ein gutes Essen lässt ihn auftauen. Clara Schumann – trotz ihrer künstlerischen Brillanz – ist eine Dame mit überreizten Nerven, die regelmäßig bis kurz vor dem Konzert in ihrer Garderobe schluchzt, sie könne unmöglich auf die Bühne. Die angenehmste Persönlichkeit hat überhaupt Peter Tschaikowsky. Er ist es, der Ethel Smyth rät, ihren Fokus beim Komponieren stärker auf die Instrumentierung zu setzen.
Ethel Smyth kann nicht nur komponieren, sondern ist auch mit einer ganz besonderen Beobachtungsgabe beschenkt. Und die kommt in ihren schriftlichen Erinnerungen voll zur Geltung. Vor allem zu ihrer Studienzeit in Leipzig trifft Ethel Smyth auf berühmte Komponistenpersönlichkeiten, die sie schnell in all ihren Facetten durchschaut und mit ihrer unprätentiösen und direkten Art regelmäßig herausfordert. Bei einem Abendessen liefert sie sich zum Beispiel einen Schlagabtausch mit Edward Grieg – eine besondere Begegnung, die sie in ihren Memoiren festhält.
"Ich werde nie vergessen, wie er mir eine bildliche Ohrfeige verpasste. Er war ein überzeugter Anhänger Liszts, dagegen war es unter den jüngeren Musikern gerade Mode, diesen Komponisten von Grund auf abzulehnen; und das erklärte ich Grieg rundheraus. Was er von einem wohlverdienten, älteren Musiker vielleicht als Gesprächsbeitrag angenommen hätte, fand er aus studentischem Mund unerträglich, und sein Zorn kochte ob meiner sicher sehr undifferenzierten Bemerkungen vollends über. Er fuhr mich ziemlich laut an, was ich mir denn einbilden würde, ich junger überheblicher Parvenü, so über diesen großen Künstler zu reden! Am nächsten Morgen jedoch, da stapfte dieser liebenswürdige Mensch in aller Frühe hoch in meine Mansarde, um sich zu entschuldigen! Und diese kleine Begebenheit legte den Grundstein für eine freundschaftliche, warmherzige Verbundenheit zwischen den Griegs und mir."
Ursprünglich stammt Ethel Smyth aus Südengland. Ihr Vater ist Generalmajor und früher mal in Indien stationiert gewesen, ihre Mutter eine sprachbegabte und musikalische Frau. Ein Konzert mit Musik von Johannes Brahms begeistert sie so sehr, dass sie den Entschluss fasst, in Leipzig Musik zu studieren. Und dank der Beziehungen der Familie und ihrer eigenen Kontaktfreudigkeit wird Ethel Smyth schnell zum gern gesehenen Gast der Künstlerszene. Zum Glück! Denn so erfahren wir aus erster Hand, welche Gedanken eine selbstbewusste und empathische Komponistin im späten 19. Jahrhundert so umtreiben.
"Ich hatte Levi, dem berühmten Wagner-Dirigenten, ein großes Chorwerk von mir gezeigt; er war ein aufgeschlossener Mann, der sich nicht scheute, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Nachdem er mein Werk angehört hatte, sagte er: "Ich hätte niemals geglaubt, dass eine Frau das geschrieben hat!" Und ich antwortete ihm: "Nein, und noch schlimmer ist, Sie werden es auch in Zukunft nicht für möglich halten!" Er schaute mich einen Moment an und sagte dann langsam: "Ich denke, da haben Sie recht!" Das Vorurteil würde einfach seinen persönlichen Eindruck und seinen Intellekt beherrschen – am Ende würde ihn sicher das Gefühl beschleichen, dass da mit Sicherheit irgendwo ein Fehler stecken musste…! Diese Anzweiflung weiblicher Fähigkeiten behindert Frauen sogar noch stärker als materielle Hemmnisse."
Den alltäglichen Kampf um die Wahrnehmung der Frau beschreibt Ethel Smyth in ihren Erinnerungen immer wieder. Zum Beispiel den von Kaiserin Eugénie, Ehefrau von Napoleon dem Dritten, die ihre Regierungszeit dazu genutzt hat, im gesamten Postbereich feste Stellen für Frauen einzuführen. Aber auch ihre tiefe Bewunderung und Leidenschaft für Frauen, meist ältere Frauen, beschreibt Ethel Smyth ganz einfühlsam und ehrlich. Und gleichzeitig macht ihre freche und durchsetzungsstarke Art einfach Spaß zu Lesen! Endlich ein Stück Musikgeschichte aus anderem Blickwinkel.
Ethel Smyths Memoiren "Paukenschläge aus dem Paradies" sind im Verlag "ebersbach & simon". 240 Seiten kosten 24 Euro.
Sendung: "Allegro" am 25. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)