Zu Lebzeiten umstritten, nach dem Tod vergessen: Jahrzehntelang stand die Komponistin Ethel Smyth im Schatten ihrer männlichen Kollegen und musste sich Anerkennung hart erkämpfen. Jetzt wird sie endlich wiederentdeckt. Eine selbstbewusste Frau und leidenschaftliche Liebhaberin.
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"Sie führte ein sehr dramatisches Liebesleben, verliebte sich leidenschaftlich, meist in Frauen," schildert Sophie Fuller, Professorin am Trinity Laban Conservatoire of Music and Dance in Greenwich. Eine besonders innige Beziehung verband sie mit der Schriftstellerin Virginia Woolf. Nicht klar ist, ob diese Beziehung sexueller Natur war, aber: "Aus Woolfs Tagebüchern wissen wir viel darüber, wie es war, von Ethel geliebt zu werden", so Fuller.
Eine leidenschaftliche Liebhaberin, die – 1858 hineingeboren in eine viktorianisch konservative Familie – ansonsten hart für ihre Ziele kämpfen musste. Erst durch Hungerstreik und Verweigerung des Kirchgangs erreichte sie, dass sie ab 1877 Komposition in Leipzig studieren durfte. Dass Frauen musizierten und auch kleine Lieder schrieben, war zwar durchaus akzeptiert, aber die Komposition symphonischer Werke traute man ihnen eher nicht zu. "Die Gehirne von Frauen seien nicht dazu geschaffen, komplexe abstrakte Gedanken in Musik umzusetzen", lautete nach Sophie Fuller eine gängige Meinung der damaligen Zeit – auch unter den Komponisten selbst. "Johannes Brahms hielt nicht viel von komponierenden Frauen. Mit ihm stritt sie häufiger", so Fuller. Dennoch gab es auch Männer, die sie unterstützten und die Qualität ihrer Werke erkannten.
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Man hätte denken können, dass Smyth angesichts solcher Anfeindungen eine glühende Verfechterin der Gleichberechtigung gewesen wäre. Doch der Kampf ums Frauenwahlrecht interessierte sie erst, als sie sich in die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst verliebte: "Sie griff die Botschaft der Suffragetten auf und verschrieb sich – wie es ihre Art war – leidenschaftlich zwei Jahre lang der Sache der Frauenrechtlerinnen – und komponierte den Women’s March für die Bewegung", erzählt Fuller.
Mit den Suffragetten hatte Smyth Fensterscheiben eingeworfen, doch generell führte sie – finanziell unterstützt durch eine Schwester, die reich geheiratet hatte – ein kosmopolitisches Leben in künstlerischen und gehobenen Kreisen quer durch Europa. Sogar mit Königin Victoria dinierte sie. Sie fand durchaus große Anerkennung und wurde zur Dame geadelt. 1903 wurde ihre Oper "Der Wald" an der Metropolitan Opera in New York aufgeführt – für hundert Jahre die erste und einzige von einer Frau komponierte Oper. Später verlor Smyth nach und nach ihr Gehör und versank in Depressionen.
Hielten sie zu Lebzeiten noch ihre Werke, Radioauftritte und Bücher im Bewusstsein der Menschen, so geriet sie nach ihrem Tod 1944 schnell in Vergessenheit. "Keiner setzte sich mehr für ihr Werk ein und sie wurde ein bisschen zur Lachfigur", erzählt Fuller. "Die Frau in den praktischen Tweed-Kostümen, die wegen ihrer Taubheit sehr laut sprach und die Tagebuchschilderungen von Virginia Woolf, wie diese alte Frau sich in sie verliebt hatte."
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Ethel Smyth: Concerto for Violin, Horn and Orchestra (1927)
Heute werden ihre Werke langsam wiederentdeckt. Und noch etwas anderes ist als Vermächtnis von Ethel Smyth geblieben: "Das zu schaffen, was man sich vorgenommen hat und nicht auf die Zweifler und Bremser zu hören", so Fuller. Ethel selbst soll einmal gesagt haben, dass Frauen in See stechen und nicht in seichten Gewässern rumdümpeln sollten. Unerschrockenheit – darauf komme es an.
Sendung: "Allegro" am 24. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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