Mariss Jansons ist ein bekennender Japanverehrer. Vor 40 Jahren war er zum ersten Mal als Dirigent auf Tour im "Land des Lächelns". Er liebt die Menschen, lobt die Höflichkeit und ist begeistert von den Konzertsälen. Fazit: Davon sollte sich München unbedingt eine Scheibe abschneiden.
BR-KLASSIK: Für Sie ist 2016 ein Jubiläumsjahr: Vor 40 Jahren waren Sie zum ersten Mal in Japan. Was sind Ihre Erinnerungen an diese Zeit?
Mariss Jansons: Das war mein erstes Jahr mit den Leningrader Philharmonikern. Wir sind 1976 durch das ganze Land gereist und haben viele Konzerte auch in ganz kleinen Städten gespielt. Ich war sehr erstaunt, denn überall war es voll, obwohl die Karten hier in Japan auch damals schon ziemlich teuer waren.
Das ist ganz allgemein ein phantastisches Land und ich glaube, dass der Rest der Welt sehr viel von den Japanern lernen kann: Da gibt es ganz besondere zwischenmenschliche Qualitäten, wie sie miteinander sprechen und umgehen. Mir imponiert sehr, dass sie versuchen, ihre Traditionen zu erhalten.
Inzwischen weiß ich: Wenn die Japaner diese oder jene Kopfposition einnehmen - das heißt nein!
BR-KLASSIK: Sie waren fast überall auf der Welt als Dirigent, aber diese Liebe scheint wirklich eine besondere zu sein. Wie lange haben Sie gebraucht, die Menschen zu verstehen?
Mariss Jansons: Natürlich hat man zuerst ein großes sprachliches Problem, wenn man sich nicht auf Deutsch oder Englisch verständigen kann. Und die Japaner sind sehr bescheiden! Manchmal haben sie einen so großen Respekt vor den Europäern, dass sie nicht nein sagen können. Selbst, wenn sie wissen, dass das Gewünschte unmöglich ist. Inzwischen weiß ich, wenn sie diese oder jene Kopfhaltung einnehmen - das heißt nein!
BR-KLASSIK: Ich kann mich an eine Aussage erinnern, in der Sie sagten, dass einige Räume hier sehr mystisch sind.
Mariss Jansons: Es kann sein, dass ein Konzert in einem Saal etwas ganz Besonderes ist, man fühlt sofort, dass man mit dem Publikum verbunden ist. Dann spielen Sie ein zweites Konzert am selben Ort und alles fühlt sich so leer an. Das ist eine Energie, die steht über uns allen, das lässt sich schwer beeinflussen. Für einen Künstler spielt das aber eine sehr große Rolle. Manchmal klingt der Raum nicht, das Publikum ist "kalt" und die Atmosphäre ist alles andere als festlich. Gott sei Dank habe ich solche Momente nicht oft erlebt.
BR-KLASSIK: Also sind es am Ende die Menschen, die dieses mystische Element in einen Saal bringen?
Mariss Jansons: Für mich ist das Geist. Die Wände selbst? Wer weiß - ich kann das nicht erklären. Natürlich denkt man an erster Stelle, es müssten die Menschen sein. Aber wie diese ganze "Struktur" arbeitet, die Ausstrahlung von Menschen, mit denen man nur einen Satz spricht und sie sofort phantastisch findet, die das Herz berühren? Für einen anderen ist dann der Mensch ein absolutes Nichts. Solche Geheimnisse existieren in unserem Leben und es ist auch im Konzertsaal immer neu.
Wenn ich heute in einen Saal gehe und das Publikum applaudieren höre, dann weiß ich sofort, woran ich bin.
BR-KLASSIK: Sie dirigieren im Rahmen der aktuellen Asien-Tour des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks auch in der berühmten Suntory Hall in Tokio. Erinnern Sie sich ans erste Mal?
Mariss Jansons: Das war 1986. Seit 30 Jahren dirigiere ich also schon dort und das erste Mal war phantastisch! Diese Akustik ist unglaublich. Wenn ich heute - nach fast 50 Jahren als Dirigent - in einen Saal gehe und das Publikum applaudieren höre, dann weiß ich sofort, woran ich bin. Gut, manchmal herrscht am Anfang vielleicht eine ziemliche Distanz, aber am Ende eine unglaublich starke Verbindung. Meistens fühle ich das sofort.
BR-KLASSIK: Was ist Ihr Lieblings-Auftrittsort in Japan?
Mariss Jansons: Das ist schwierig, aber vier kann ich nennen. Das ist die Suntory Hall, dann Sapporo, Kawasaki und Nagoya. Und es gibt noch einen wunderbaren Saal in Osaka, die Symphony Hall: die klingt gut und fühlt sich wunderbar an. Aber der Raum ist leider ein bisschen zu klein, deshalb spielen die Orchester aus dem Ausland selten dort, auch ich habe schon lange nicht mehr dort dirigiert. Wenn wir einen von den vier größeren Sälen in München hätten - das wäre schon genug!
BR-KLASSIK: Auch alles, was außen herum um ein Konzerthaus passiert, ist wichtig. Wenn in München der Saal auf dem Werksviertel hinter dem Ostbahnhof entsteht und auch drum herum viel Neues passiert - welche Chancen sehen Sie für das Orchester?
Mariss Jansons: Für das Orchester ist es wichtig, dass wir sagen können: Das wird unser Haus. Endlich! Ein Haus, wo sie wissen, hier ist mein Frack, da ist mein Übezimmer, hier kann ich mich auf die Probe vorbereiten, die Konzerte organisieren - auch mit der Jugend und mit Kindern arbeiten und Workshops geben. Wenn noch eine - hoffentlich - beste Akustik dazu kommt, wäre das eine große Freude.
Das Münchner Publikum ist eigentlich sehr traditionell und geht nicht so gern an neue Orte. Ich hoffe, dass es nicht heißt: "Oh, das ist zu weit weg" oder "Das ist so ein Stadtteil, da gehe ich gar nicht hin." Ich glaube, dass dieser Bezirk ein ganz interessanter und wichtiger werden kann. Da reicht aber kein Konzertsaal, sondern da sollte auch eine Musikschule hin, denn Platz ist ja genug. Auch ein Kindergarten mit einem besonderen musikalischen Profil. Und für Konzertabende fände ich es großartig, wenn es eine Kinderbetreuung für die ganz Kleinen gibt - so dass auch junge Eltern ins Konzert gehen können. Und ganz allgemein für das Areal: Gemütlichkeit! Das wird Geld kosten, aber es darf keine Rolle spielen. Man muss den Willen haben!
Das Interview für BR-KLASSIK führte Annekatrin Schnur.