Der Elias in Felix Mendelssohn-Bartholdys gleichnamigem Oratorium ist eine zutiefst unsympathische Figur. Sagt Bassist Georg Zeppenfeld. Der Bayreuth-Star sang bei der Aufführung von Chor und Symphonieorchester des BR die Titelpartie.
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BR-KLASSIK: Georg Zeppenfeld, Sie haben einmal gesagt, dass man als Westfale nicht zum Kunstgesang geboren sei. Warum ist das so?
Georg Zeppenfeld: Ja, das ist tatsächlich so: In der Gegend, aus der stamme, aus dem Sauerland in Südwestfalen, spricht man kein Bilderbuch-Hochdeutsch. Früher gab es viele unterschiedliche Dialekte - in jedem Dorf einen anderen. Inzwischen ist das nicht mehr so stark, und man bemüht sich, Hochdeutsch zu sprechen. Aber was von den Dialekten übriggeblieben ist, ist die Tatsache, dass wir den Mund nicht gerne öffnen. Wir sprechen ziemlich weit hinten, was fürs Singen natürlich nicht hilfreich ist. Ich habe das als Handicap ziemlich lange mit mir rumgeschleppt.
Felix Mendelssohn Bartholdy
"Elias" - Oratorium für Soli, Chor und Orchester, op. 70
Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Duncan Ward
13. und 14. Oktober 2022, jeweils 20:00 Uhr
München, Isarphilharmonie
Das Konzert vom 14. Oktober können Sie hier anhören.
BR-KLASSIK: Was war der Schlüssel, die Stimme nach vorne zu bringen?
Georg Zeppenfeld: Die akribische Arbeit, die meine Gesanglehrer und meine Sprecherzieherin geleistet haben. Denn man muss sich dieses Umstandes ja erst einmal bewusstwerden: Dass man Gewohnheiten mit sich schleppt, die einen beim Singen behindern. Das hat viel Geduld gekostet - meine Lehrer und mich. Ich bin beiden sehr dankbar, dass sie mir da geholfen haben.
BR-KLASSIK: Gab es damals einen Punkt, an dem Sie darüber nachgedacht haben, das Singen sein zu lassen und doch keine professionelle Sängerkarriere anzustreben? Sie haben sich ja ohnehin recht spät fürs Singen entschieden.
Die Selbstzweifel sind immer da.
Georg Zeppenfeld: Ursprünglich wollte ich Musik- und Deutschlehrer am Gymnasium werden. Und ja, die Idee mit dem Singen kam relativ spät auf. Ich beäuge alles, was ich künstlerisch mache, ziemlich misstrauisch. Deshalb hat mich der Gedanke, ob das Singen wohl das Richtige für mich sei, eigentlich immer begleitet. Die Selbstzweifel sind immer da. Auch bei jeder Partie, die ich neu einstudiere. Ich habe sie inzwischen schätzen gelernt: Sie sind ein Motor und bringen einen, wenn man sich mit einem neuen Stück auseinandersetzt, ziemlich weit.
BR-KLASSIK: Selbstzweifel können einen aber auch behindern oder blockieren. Haben Sie diese Erfahrung nie gemacht?
Georg Zeppenfeld: Doch, in den Anfängen schon. Aber später versteht man, dass zur Professionalität auch dazu gehört, an irgendeinem Punkt seinen Frieden zu machen mit dem, was noch nicht hundertprozentig stimmt. Man muss vom Input, vom Erarbeiten einer Partie umschalten auf Output nach dem Motto: "So, jetzt präsentiere ich das, was ich kann und mache das so gut wie möglich. Dafür werde ich engagiert, und das ist jetzt meine Aufgabe." An diesem Punkt muss man sich lösen von den Selbstzweifeln. Man kann sie ja dann später wieder aufgreifen. Nach einem Konzert, wenn Du Deine Erfahrung mit dem Stück gemacht hast, kannst Du ja nicht einfach sagen: "Das hab ich jetzt fix auf meinem Konto liegen, da kann ich immer abheben." Nein, die Arbeit geht immer weiter.
Ich hatte überhaupt nicht die Vorstellung, dass ich irgendwann mal in der ersten Reihe mitsingen würde.
BR-KLASSIK: Hätten Sie jemals gedacht, dass sie einer DER Wagner-Sänger werden? Sie sind ja in Bayreuth omnipräsent – seit mehr als zehn Jahren.
Georg Zeppenfeld als König Heinrich bei den Bayreuther Festspielen 2010 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Georg Zeppenfeld: Ich bin seit 2010 in Bayreuth tätig und war zwischendurch mal für drei Jahre ausgebüxt nach Salzburg, durfte dann aber wiederkommen. Nein, das habe ich mir nie träumen lassen. Ich hatte überhaupt nicht die Vorstellung, dass ich irgendwann mal in der ersten Reihe mitsingen würde. Mein Gedanke war eher der: Wenn ich Glück habe und alles gut läuft mit meiner Stimme, dann schaffe ich es ins Ensemble an einem mittelgroßen Haus – werde eine so genannte "Stütze des Hauses". Aber dass ich mal rumgereicht werden würde mit einer bestimmten Art von Partien, das hab` ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht erhofft. Das ist dann einfach gekommen.
BR-KLASSIK: In diesem Jahr waren Sie auch sehr aktiv in Bayreuth, als König Heinrich im Lohengrin, als Hunding in der Walküre oder Daland im Fliegenden Holländer. Dazu kam noch König Marke im Tristan. Wo fühlen Sie sich wohler? In diesen Wagner-Rollen oder mit Elias auf der Konzertbühne – ganz ohne wilde Wagner-Action?
Georg Zeppenfeld: Die Action beim Elias ist mir schon wild genug. Das ist ja eine sehr farbenreiche Partie, die in einem extrem viel abverlangt, in alle Richtungen. Insofern unterscheidet sich das Ganze vom Wagner-Gesang nicht wesentlich, abgesehen vom größeren Orchester Bei Wagner.
Ich bin nicht mit wehenden Fahnen zur Bühne.
BR-KLASSIK: Beim "Elias" fehlt das szenische Moment. Ist das schwieriger, wenn Sie alles in den Gesang legen müssen, ohne zusätzlich etwas szenisch zu tun?
Georg Zeppenfeld: Nein, das finde ich nicht schwieriger. Ich komme ja von meinem künstlerischen Werdegang her vom Konzertbetrieb. Ich habe schon zu Studienzeiten Kantaten und Konzerte gesungen. Oper hatte ich anfangs gar nicht als Ziel. Ich musste mir nur irgendwann überlegen: Was will ich jetzt professionell mit der Singerei anfangen? Und dann kommt man an der an der Tatsache nicht vorbei, dass das Theater die Institution ist, die dir die Möglichkeit gibt, das Singen zum Beruf zu machen und davon leben zu können. Deshalb war die Oper für mich notwendig. Der Appetit ist mit dem Essen gekommen. Ich bin also nicht mit wehenden Fahnen zur Bühne, sondern habe es erst schätzen gelernt, als ich es gemacht habe. Und als ich das Glück hatte, in Münster an meinem ersten Theater sehr interessante und vielfältige Partien singen zu dürfen. Oper nimmt sehr viel Zeit in Beschlag, deshalb bin ich doch ziemlich weit weg gekommen vom Konzertgesang und freue mich über jede Gelegenheit, zurückzukommen.
Elias ist ein religiöser Fundamentalist.
BR-KLASSIK: Das Elias-Oratorium gilt als opernnah. Sehen Sie das auch so?
Georg Zeppenfeld: Ja! Die kompositorischen Mittel, die Felix Mendelssohn-Bartholdy gewählt hat, sind ganz nah am opernhaften Klang, obwohl er sich natürlich auch an Bach orientiert hat.
BR-KLASSIK: Wie erleben Sie die Entwicklung, den psychischen Weg von Elias in diesem Oratorium? Am Anfang ist er doch ein sehr starker Mann, der den Fluch ausspricht und später dann ist er ein gebrochener Mann, der in der Wüste nur noch sterben möchte.
Georg Zeppenfeld: Ich möchte mal vorausschicken: Ich bin Katholik und bin das auch ganz gerne, Elias ein Prophet des Alten Testaments. Der hat noch ein ganz anderes Verständnis von Religiosität. Mir ist die Figur des Elias zutiefst unsympathisch. Er verkörpert genau das, wovor der Westen gerade zittert. Elias ist ein religiöser Fundamentalist. Das ist auch historisch verständlich. Der lebte in einer Zeit, in der die monotheistische Religion, das Judentum, noch um seine Existenz kämpfen musste. Es ging immer ums Ganze: Wenn irgendetwas passierte, was die Menschen unzufrieden mit ihrer Religion gemacht hat, saßen die Köpfe immer locker. Das war auch bei Elias so. Aber meine Aufgabe als Sänger ist es, den Spuren in dieser Figur nachzugehen und irgendwie plausibel zu machen.
BR-KLASSIK: Also nicht nur die Figur des Elias missfällt Ihnen, sondern auch das dort vermittelte Gottesbild?
Georg Zeppenfeld: Ja, das ist mir zutiefst verdächtig, weil dieser Gott so manipulierbar ist. Man kann ihm alles Mögliche unterjubeln. Ist man brav, hilft er. Ist man unartig, straft er einen. Und wenn man eine Menge von Menschen beeindrucken und für ihn einnehmen kann, dann wirkt er auch mal ein Wunder. Das sind noch Strukturen vom Glauben an Geister, die man beschwören und wieder besänftigen kann. Das ist noch nicht die Offenbarungsreligion eines Gottes, der den Menschen als verantwortungsvolles Individuum begreift und von ihm erwartet, dass er sich aus sich selbst heraus ethisch verhält.
Da bin ich schon ein bisschen neidisch, dass ich da nicht mitsinge.
BR-KLASSIK: Felix Mendelssohn-Bartholdy wollte für seinen Elias "recht dicke, starke volle Chöre", wie er selbst geschrieben hat. Was geht in Ihnen vor, wenn diese "dicken" Chorstellen kommen? Singen Sie da heimlich mit oder sogar ganz offiziell?
Georg Zeppenfeld: Offiziell nicht, weil wir ja ein Mikrofon vor der Nase stehen haben. Das würde empfindlich stören. Aber ich habe früher auch schon mal das Doppelquartett im ersten Teil gesungen in einer Gottesdienstgestaltung. Da bin ich schon ein bisschen neidisch, dass ich da nicht mitsinge. Ich habe in meiner Vergangenheit im Männergesangverein auch mal eine vielstimmige Ausarbeitung des Engelschors, der eigentlich für drei Frauenstimmen geschrieben wurde, mit Inbrunst mitgesungen. Ich vermisse manchmal auch Chorsingen. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich vielleicht irgendwann wieder in einem Chor mitsinge.
BR-KLASSIK: Was wäre das dann für ein Chor: Kirchenchor, Gospelchor, Jazzchor, Popchor?
Georg Zeppenfeld: Sicherlich etwas Traditionelles und sicherlich auch ein gemischter Chor. Nachdem ich lange Zeit im Männergesangverein sehr glücklich war, habe ich dann doch irgendwann begriffen, dass da was fehlt. Ein guter gemischter Chor ist schon etwas, was sehr viel Freude am Singen vermittelt.
BR-KLASSIK: Wie haben Sie denn jetzt die Zusammenarbeit mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks erlebt?
Georg Zeppenfeld: Ich kenne den BR-Chor schon lange und durfte auch schon des Öfteren mit ihm singen. Jedes Mal bin ich froh gestimmt, wenn ich höre, wie professionell dieses Ensemble arbeitet und wie rund das Ensemble klingt – hervorragend aufeinander abgestimmt. Dieser Chor, zusammen mit den netten Bekanntschaften, die ich mit verschiedenen Leuten aus diesem Chor habe, machen das für mich immer zu einem sehr, sehr schönen Erlebnis.
Sendung: "Leporello" am 14. Oktober 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Freitag, 14.Oktober, 19:16 Uhr
Bernhard Kehrwald
Elias
Ein Teil von Elias war Fundamentalist, was gar nicht anders möglich war, weil er in dieser Zeit lebte und da gab es nur das alte Testament.
Elias ist für mich ein zutiefst sympathischer Prophet, der für seine Überzeugung eingetreten ist und noch beten konnte und auf seine Art Gott und die Menschen erreicht hat . Er kann auch für uns in der heutigen Zeit ein Vorbild sein, weil es immer weniger Leute gibt, die im Glauben und im Gebet Trost finden u. sich auf diese Art Gott zuwenden. Das Volk, die Menschen, sind damals genauso wie heute. Sie zweifeln u. fallen noch schneller vom Glauben ab, wenn sie überhaupt einen Glauben haben. Umso wichtiger Ist es eine solche Musik im Gebet zu erleben.
Die gestrige Aufführung in der Isar Philharmonie war grandios und der Elias der beste Elias den ich bisher in dieser Partie gehört habe.
Eine wunderschöne Baßstimme und ein großes Gebet, vielen Dank an Georg Zeppenfeld und an den kraftvollen u. gesanglich sehr guten BR Chor!
Freitag, 14.Oktober, 18:18 Uhr
paul-ludwig voelzing
zeppenfeld
schade, dass sie nicht musik- und deutschlehrer geworden sind, sage ich, der ich mehr als froh bin, sie jedes mal als exzellenten sänger zu hören!!!! ich stelle mir vor, wie sie, der sie jetzt ein großartig artikulierender sänger (trotz oder wegen ihrer westfälischen herkunft) sind, ihren schülern eine schöne aussprache vermittelt (nicht: beigebracht) hätten, erst recht ihren fremdsprachlichen (schülern). ich bin im übrigen nicht im lehrberuf tätig (gewesen).
Freitag, 14.Oktober, 10:40 Uhr
Wolfgang
Schönes Interview
...mit einem intelligenten Sänger.