Musikerinnen und Musiker leider häufiger unter einer Depression als andere Menschen - vor allem seit der Corona-Pandemie. Das belegen aktuelle Studien. Um mental gesund zu bleiben, gibt es deshalb inzwischen Präventions-Programme.
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"Ich habe als kleines Kind schon Magenkrämpfe gehabt, bevor ich auf die Bühne gegangen bin. Ich war wahnsinnig nervös, weil ich gesehen habe, wieviel meinen Eltern daran liegt, dass es gut läuft und dass es funktioniert", sagt die Geigerin Alina Pogostkina. "Ich hatte Freude an der Musik, aber zugleich habe ich unglaublich gelitten darunter."
Die Geigerin Alina Pogostkina hat unter ihrem Wunderkinddasein gelitten. Später gründete sie die Initiative "Mindful Music Making". | Bildquelle: © Nikolaj Lund Alina Pogostkina wächst als Wunderkind auf. Den hohen Erwartungen der Eltern ist sie kaum gewachsen – zumal ihr Vater auch ihr Lehrer ist. Damit sei der Samen gesät gewesen für eine schwierige Beziehung zum Beruf, zum Instrument und zur Musik. "Wenn man das nicht aufarbeitet, dann sitzt man fest in dieser alten Verknüpfung von: Ich muss leisten, damit ich als Mensch wertvoll bin, damit ich geliebt werde, damit ich angenommen werde", so die Geigerin. "Diese Verknüpfung wird automatisch in so einem kleinen Kindergehirn hergestellt." Als Teenagerin geht Alina Pogostkina zum Studium nach Berlin, gewinnt Abstand zur Familie und beginnt auch eine Therapie. Aber die alten Muster sitzen tief. 2005 gewinnt sie den Jean Sibelius Wettbewerb. Danach folgt der Zusammenbruch: Burnout.
Burnout, Ängste oder Depression: Mit solchen Problemen haben viele Musikerinnen und Musiker zu kämpfen. Seit Herbst gibt es in Deutschland eine erste Professur für Musikergesundheit – in Lübeck. Neben körperlichen Beschwerden begegnen Daniel Sebastian Scholz dort vor allem psychosomatische Beschwerden und Probleme wie Auftrittsangst. Mentale Gesundheit ist ein großes Thema. "Ich glaube, das sind oft frühe Prägungen, aber natürlich sind es hauptsächlich Angst und Zukunftsaspekte", sagt Scholz und denkt dabei zum Beispiel an die Pandemie. "Corona hat uns sehr deutlich gezeigt, wie schwierig die Stellung der Musikerinnen und Musiker, aber auch der Kulturschaffenden allgemein ist."
Daniel Sebastian Scholz ist Professor für Musikergesundheit in Lübeck | Bildquelle: © Patrick Slesiona Schlechte Zukunftschancen verbunden mit einem womöglich negativen Selbstbild - das ist fatal. Erst im Dezember hat Daniel Sebastian Scholz eine Studie mitveröffentlicht, die den Zusammenhang von Selbstwertgefühl, Auftrittsangst und Depression bei Musikerinnen und Musikern untersucht. "Ich habe beobachtet, dass wir bei Studierenden vorhersagen können, dass niedriger Selbstwert und eine Neigung zu Auftrittsangst meistens zu depressiven Symptomen führt." Hilfe gibt es zum Beispiel im Lampenfieber-Seminar. Dort müssen sich die Teilnehmenden ihren Ängsten stellen, auftreten und vor allem lernen, ihr eigenes Spiel und ihre eigenen Auftritte positiv zu bewerten.
Sich von negativen Selbstbildern und alten Mustern zu lösen, ist auch für Alina Pogostkina wichtig. 2018 gründete sie die Initiative "Mindful Music Making" – als Hilfe für andere Musikerinnen und Musiker. "Der wichtigste Punkt ist eigentlich die Zuwendung sich selbst gegenüber. Also, das Rauskommen aus dem Funktionieren, wirklich mal innehalten und anschauen, wie gehe ich eigentlich mit mir selbst um? Wie ist mein innerer Dialog? Wie ist meine Haltung mir selbst gegenüber?" Aber kann eine Musiker-Karriere auch ohne den altbekannten Leistungsdruck funktionieren? Alina Pogostkina meint: Musizieren muss nicht krankmachen.
"Ich glaube nicht, dass wir leiden müssen. Ich glaube, es kann auch anders gehen", meint die Geigerin. Für sie sei der Schlüssel, von vornherein den ganzen Menschen miteinzubeziehen, Körper und Geist, und dabei die Gefühle nicht auszuklammern.
Es beginnt also mit der richtigen Ausbildung und den richtigen Übestrategien. Auch Lehrende sollten sich demnach mit Themen wie Mindset und Körperarbeit beschäftigen. Und: mit den eigenen, erlernten negativen Mustern auseinandersetzen. "Mein Traum sind traumainformierte Musikhochschulen. Wenn wir unsere eigenen Traumata nicht aufarbeiten, die wir aus unserer Erziehung und Vergangenheit mit uns tragen, dann wird das weitergereicht an die nächste Generation", sagt Alina Pogostkina. "Da gibt es ganz viel Kollektives, was geheilt werden muss, was angeschaut werden muss. Und mein Wunsch ist es, diese Unterstützung und diese Aufklärung auch an die Hochschulen zu tragen."
Sendung: "Allegro" am 13. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK