Er ist einer der besten Geiger der Welt. Auf seiner kostbaren Guarneri verzaubert Augustin Hadelich mit atemberaubender Virtuosität und edlen Tönen. 1984 als Sohn deutscher Biobauern in der Toskana geboren, lebt Hadelich längst in New York. Zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kehrt er diese Woche mit einem Klassiker der Moderne zurück: Zum 100. Geburtstag von György Ligeti spielt Hadelich dessen bizarres Violinkonzert. BR-KLASSIK überträgt am Freitag live im Radio und im Video-Stream.
Bildquelle: Rosalie O'Connor
BR-KLASSIK: Herr Hadelich, als Sie diese Woche zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zurückgekehrt sind, war das wie ein Heimkommen für Sie? Sie haben ja 2018 mit dem BRSO das Dvořák-Konzert gespielt, das ist allerdings auch schon wieder fünf Jahre her …
Augustin Hadelich: Ja, das ist eine Weile her, aber ich erinnere mich daran, als ob es gestern gewesen wäre. Es war wirklich ein Höhepunkt für mich, das Konzert damals kam ja dann auch auf CD raus. Das heißt, ich habe diese Aufnahme mehrfach durchgehört. Deswegen ist mir unser Konzert vielleicht noch so präsent geblieben. Und ich habe mich schon lange auf meine Rückkehr zum Orchester riesig gefreut. Es ist Wahnsinn, wie gut das Orchester schon in der ersten Probe vorbereitet war. Das Ligeti-Konzert ist ein Stück, in dem jede einzelne Orchesterstimme eigentlich fast schon so schwer ist wie der Solopart. Das sind wirklich extreme Anforderungen, die Ligeti da stellt. Ich kenne das Stück seit etwa 20 Jahren und spiele es schon seit 15 Jahren – ich habe das damals als Student einstudiert.
BR-KLASSIK: Sie haben das Konzert ja selber auch schon auf CD aufgenommen. 2018, kombiniert mit dem Brahms-Konzert. Warum war es Ihnen ein Bedürfnis, das zu machen?
Augustin Hadelich: Ich war begeistert von dem Stück und fand Stellen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen sind. Und schon deshalb wollte ich das Werk unbedingt aufnehmen. Vor allem in Amerika, aber manchmal auch in Europa sind die Leute davongerannt, wenn ich das Ligeti-Konzert nur erwähnt habe. Beim Norwegischen Radio-Sinfonieorchester aber meinten sie dann zu mir, dass sie das unbedingt mit mir aufnehmen wollten. Und dann dachte ich, dass Brahms eine schöne Kombination in vielerlei Hinsicht wäre. Einmal, weil es natürlich einen großen Kontrast bildet, und man als Zuhörer noch etwas ganz anderes dazubekommt. Natürlich gibt es dann auch Menschen, die die CD wegen des Brahms-Konzerts kaufen – und auf diese Weise das Ligeti-Konzert entdecken. Außerdem gibt es auch durchaus Gemeinsamkeiten, die man da finden kann. Ich fand das irgendwie aufregender, als es mit einem weiteren Stück Neuer Musik zu kombinieren.
Die Leute sind manchmal davongerannt, wenn ich das Ligeti-Konzert nur erwähnt habe.
BR-KLASSIK: Sollte so etwas nicht eigentlich der Normalfall heute sein, dass im Abo-Programm auch solche Stücke präsentiert werden?
Der Geiger Augustin Hadelich | Bildquelle: Luca Valenta Augustin Hadelich: Das Ligeti-Konzert gehört für mich mittlerweile zum Standardrepertoire. Aber ich würde jetzt nicht erwarten, dass es so oft gespielt wird wie das Beethoven-Konzert oder das Mendelssohn-Konzert. Dennoch finde ich, es sollte alle paar Jahre mal auf dem Programm stehen. Es gibt auch mittlerweile recht viele Geigerinnen und Geiger, die das im Repertoire haben. Damit es ins Orchester-Repertoire kommt, ist es wichtig, dass es möglichst viele Leute spielen – und auch auf unterschiedliche Weise. Die Schwierigkeiten des Werks, eben auch für das Orchester und den Dirigenten, sind ein gewisses Hindernis. Es ist kein Nebenprojekt, wo man sagt, das kann man so auf die Schnelle noch irgendwie in die Saison packen. Man braucht einfach sehr viele Proben.
BR-KLASSIK: Sie leben ja in New York. Wie sehen Sie den gegenwärtigen Konzertbetrieb hier in Deutschland im Vergleich zu Amerika?
Augustin Hadelich: Es gibt sowohl in Deutschland, als auch in den USA viele gute Orchester mit langer Tradition. Nach der Pandemie ist es in jeder Stadt ein bisschen anders, wie alles zurückkehrt. In New York ist es eine sehr schwierige Situation, weil relativ wenig Publikum da ist – viele Leute sind einfach weggezogen aus der Stadt. Da ist die klassische Musik ein bisschen mehr in der Krise, während ich jetzt die Erfahrung gemacht habe, dass es in manch anderen Städten eigentlich sogar besser läuft als vorher. Es kommen neue Leute – und die Lust ist da, wieder was zu unternehmen. Ich kann das nicht so pauschal vergleichen, wie sich der Konzertbetrieb zwischen Deutschland und den USA unterscheidet. Es gibt hier und dort tolle Orchester. Viele amerikanische Orchester gehen auch mal in Europa auf Tournee, und umgekehrt. Das BRSO kommt auch regelmäßig nach Amerika. Insofern gibt es da einen Austausch. Das ist nicht mehr so wie vielleicht noch vor 50 Jahren.
BR-KLASSIK: Und wie steht es um die Neugier des Publikums: Ist es nach ihrem Eindruck so, dass die Leute tatsächlich nur dasselbe immer wieder hören wollen? Oder unterschätzt man da das Publikum auch ein bisschen?
Augustin Hadelich: Ich glaube, das Publikum will auch mal überrascht werden. Bei mir persönlich ist es so. Ich wollte Geiger werden, um bestimmte Stücke zu spielen. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, das Beethoven-Konzert gar nicht mehr zu spielen. Aber es ist mir auch wichtig, immer mal wieder was Neues auszuprobieren. Ich glaube, so geht es auch vielen Zuhörern. Es gibt bestimmte Werke, die sie schon sehr früh kennengelernt haben und mit denen sie bestimmte Erlebnisse verbinden. Und die wollen sie dann auch immer wieder hören, um das sozusagen erneut zu erleben. Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Konzertlebens. Es gibt eben Stücke, die werden nicht alt.
BR-KLASSIK: Welchen Stellenwert haben denn CDs heute überhaupt noch? Sie haben ja auch viele veröffentlicht.
Augustin Hadelich: Ich habe ehrlich gesagt keinen CD-Spieler (lacht). Die Musik höre ich digital. Ich würde es so sagen: Aufnahmen haben weiterhin einen hohen Stellenwert, aber das Wichtigste bleibt immer das Konzerterlebnis. Und ich finde, das wurde in der Pandemie klarer als jemals zuvor. Dass es keinen Ersatz gibt für ein Konzert – und dass auch virtuelle Konzerte kein Ersatz sind. Das Live-Erlebnis ist immer die Hauptsache.
BR-KLASSIK: Neben Ihrem gesanglichen Ton wird Ihre überragende Technik gerühmt, die so mühelos wirkt. Muss man das auch irgendwie mitbringen, den Spaß an der Virtuosität? Oder kann man das alles lernen – hatten Sie einfach auch unglaublich gute Lehrer?
Augustin Hadelich: Ich habe lange daran gearbeitet. Man muss auch alleine auf Lösungen kommen, auf ungewöhnliche Lösungen, auf persönliche Lösungen, um die Sachen dann irgendwie zu ermöglichen, die einem erstmal unmöglich erscheinen. Und da steckt einfach sehr viel Zeit dahinter. Ich hatte sehr gute Lehrer, ich hatte viele Lehrer als Kind, auch ein paar schlechte. Insgesamt wurden mir da schon sehr gute Impulse gegeben. Geigespielen ist und bleibt kompliziert, sodass man eigentlich nie wirklich damit fertig ist.
Es ist mir wichtig, immer mal wieder etwas Neues auszuprobieren.
BR-KLASSIK: Für all das brauchen Sie aber auch das richtige Instrument. Sie hatten lange Zeit eine Stradivari-Leihgabe und seit 2020 jetzt eine Guarneri-Geige, auf der schon Henryk Szeryng gespielt hat. Können Sie mit dieser Guarneri all das machen, was Ihnen stilistisch vorschwebt?
Augustin Hadelich: Ich hänge sehr an dieser Guarneri. Das war ganz wunderbar, als ich sie vor etwa drei Jahren bekam. Interessant ist zum Beispiel, dass man auf der Guarneri ohne Vibrato spielen kann und es trotzdem noch gesanglicher klingt als auf der Stradivari. Das Instrument spielt eine Rolle, wenn man versucht, einen bestimmten Klang zu erzielen. Und letztendlich habe ich das Gefühl, dass sich ein Geiger immer wieder in Richtung eigener Klang bewegt, egal auf welchem Instrument er spielt. Ich fühle mich aber unglaublich wohl mit dieser Guarneri-Violine und bin sehr glücklich, dass ich darauf spielen kann.
BR-KLASSIK: Nächstes Jahr werden Sie 40. Das ist ja auch immer so ein bisschen eine Wegmarke, um einerseits Rückschau zu halten: Was habe ich erreicht? Und um auf der anderen Seite auch einen Blick in die Zukunft zu werfen: Wo möchte ich hin? Welche Gedanken gehen Ihnen da so durch den Kopf?
Augustin Hadelich: Ich fühle mich irgendwie noch überhaupt nicht wie 40 (lacht). Jetzt sind es etwa 15 Jahre, dass ich unterwegs bin und Konzerte spiele. Es ist schon sehr viel passiert, und mein Spiel hat sich sehr verändert. Ich bin mir sicher, dass es in 15 Jahren dann auch wieder ganz anders ist. Ich hoffe auf jeden Fall, dass ich weiter solche Höhepunkte erlebe, wie jetzt mit dem BRSO. Das ist natürlich eines der Highlights dieses Jahres. Ich habe immer davon geträumt, mit so einem Orchester auf der Bühne zu stehen und gemeinsam zu muszieren. Ich hoffe, dass ich das in Zukunft noch oft erleben kann.
Konzerttermine
Donnerstag, 15. Juni 2023, 20.00 Uhr, Herkulessaal, München
Freitag, 16. Juni 2023, 20.00 Uhr, Herkulessaal, München
Konzerteinführung jeweils um 18.45 Uhr
Programm
Jean Sibelius – "Der Schwan von Tuonela", op. 22, Nr. 2
György Ligeti – Violinkonzert
Antonín Dvořák – Symphonie Nr. 7 d-Moll, op. 70
Mitwirkende
Augustin Hadelich, Violine
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Thomas Søndergård
Liveübertragung
BR-KLASSIK überträgt das Konzert am Freitag, 16. Juni, um 20.05 live im Radio und als Video-Livestream auf BR-KLASSIK.de und auf brso.de
Sendung: "Allegro" am 15. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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