Der Winter verabschiedet sich so nach und nach, die Sonne hat auch schon ihre Visitenkarte abgegeben: Höchste Zeit, in die Puschen zu kommen. Anregung könnte vom Bayerischen Staatsballett kommen, es lädt eine Woche zum Tanzen ein. Und er hat den Überblick: Dramaturg Serge Honegger.
Bildquelle: N. MacKay
BR-KLASSIK: Die Ballettfestwoche 2024 startet mit einem "Triple-Bill": Das ist ja ziemlich beliebt, drei Ballette in einem Paket zu liefern. Was bedeutet das für die Kompanie zwischen drei Balletten hin und her zu switchen?
Serge Honegger: Zum einen hat man eine größere Varietät der choreografischen Sprachen, zum anderen kann man auch mit unterschiedlichen Interessen der Tänzer spielen. Also wenn Choreografen verschiedene Angebote machen und die Tänzer sich für die eine oder andere Sprache interessieren, kann man da auch etwas auf die individuellen Fähigkeiten eingehen. Aber der Probenprozess gestaltet sich dadurch nicht ganz einfach.
BR-KLASSIK: Sie haben ja auch nur eine begrenzte Anzahl an Räumlichkeiten, und alles muss irgendwie parallel geprobt werden, damit alles am Freitag klappt.
Serge Honegger: Da sind wir immer auch auf das Entgegenkommen der einstudierenden Choreographen angewiesen. Die treffen sich einmal pro Woche und handeln dann aus, wer wann mit wie vielen Leuten wo proben darf.
BR-KLASSIK: Es ist aber auch musikalisch ein unglaublicher "Sprung", gerade beim Eröffnungsabend. Da gibt es Musik von Karl Jenkins. Und Techno Beat…
Serge Honegger, Dramaturg am Bayerischen Staatsballett | Bildquelle: N. MacKay Serge Honegger: Die musikalische Welt in diesem "Triple-Bill" spannt wirklich einen großen Horizont auf. Ich glaube aber, dass es für das Publikum gerade attraktiv ist, ganz unterschiedliche, nicht nur choreografische Sprachen, sondern eben auch musikalische Sprachen zu hören, zu denen auch unterschiedliche Formationen entstehen.
BR-KLASSIK: Sie haben keine Angst, dass da so eine Art Marianengraben entsteht zwischen den Stücken?
Serge Honegger: Nein, überhaupt nicht! Die werden ja nicht gegeneinander ausgespielt. Es ist, wie wenn man in drei verschiedenen Welten Ferien machen kann.
BR-KLASSIK: Es wird auch ein Gastspiel geben aus Belgien mit der Kompanie Peeping Tom, die bringen das Ballett "Triptych" mit, und da spielen u.a. Stöckelschuhe eine Rolle.
Serge Honegger: Das ist das andere Extrem des Balletts. Es ist eine Virtuosität in diesem "physical theatre" drin, die ein ganz spezifisches Training erfordert. Darum ist Peeping Tom auch die ideale Kompanie für ein Gastspiel, weil die etwas zeigen kann, was wir mit unseren Tänzer:innen zwar auch hinkriegen würden, aber nur mit einem sehr großen Anlauf in der Probenzeit.
BR-KLASSIK: Das ist ja auch sehr spannend insofern, als das "Klassische Ballett" doch immer wieder ein bisschen in die Kritik kommt. Ist es nötig, eine Choreografie von Marius Petipa aus dem 19. Jahrhundert heute im 21. Jahrhundert noch auf die Bühne zu bringen?
Serge Honegger: Petipa ist absolut notwendig, finde ich, weil auch die zeitgenössischen und die ganz zeitgenössischen Choreografen und Choreografinnen sich auch immer noch darauf beziehen. Zum einen durch die Körpertechnik, auf der anderen Seite aber auch durch die Struktur. Petitpa ist immer ein guter Anknüpfungspunkt, weil er darüber reflektiert, wie sich überhaupt ein Spannungsverhältnis über Körper auf einer Bühne in einem Raum über eine gewisse Zeit entfalten kann. Und da ist Petipa nie alt geworden.
BR-KLASSIK: Also muss man sich vielleicht lösen von den teilweise "musealen" Kostümen und konkret schauen: Was passiert da eigentlich in dem Raum?
Szene aus "Tschaikowsky-Ouvertüren" am Bayerischen Staatsballett | Bildquelle: Nicholas MacKay Serge Honegger: Ich hatte kürzlich eine Unterhaltung mit Demis Volpi, dem neuen Ballettdirektor in Hamburg, und er hat genau den Vorschlag gemacht, mal alle Kostüme, alle Bühnenbilder, alles wegzulassen und einfach mal darauf zu gucken, was die Struktur von Petipa bringt. Und da ist nichts mehr vom 19. Jahrhundert vorhanden.
BR-KLASSIK: Haben sie einen Lieblingsballett innerhalb der Ballettfestwoche?
Serge Honegger: Sharon Eyals "Autodance". Das ist das letzte Stück im "Triple Bill", was wir zum Auftakt zeigen werden. Das ist eine Choreografie, die in die Unendlichkeit weiterschreiten könnte. Und ich finde, sie bringt in dieser Arbeit von 2018 das Unbehagen an der Gegenwart zum Ausdruck und gleichzeitig aber auch eine Hoffnung in der Schönheit ihrer Bewegungen. Da ist für mich ganz viel drin. Und Petipa, wenn man möchte, kann man darin ja auch entdecken.
Sendung: "Leporello" am 10. April 2024 ab 16:05 Uhr.
Die Kritik zur Auftakt-Premiere mit den drei Choreografien im "Triple-Bill" gibt’s in der "Piazza" am Samstag, 13. April 2024 ab 9:05 Uhr.
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