Das Liebesleben im 17. Und 18. Jahrhundert war eine komplizierte Sache: Choreograph Angelin Preljoçajs hat es in "Le Parc" in Bewegungen überführt. In dem Ballett entfaltet sich körperliche Zärtlichkeit zur Musik von Wolfang Amadeus Mozart. Ballettchef Laurent Hilaire hat bei der Uraufführung 1994 die Hauptrolle getanzt. Bei ihm war seine Münchner Compagnie beim Einstudieren in besten Händen. Nun war die Premiere in München.
Bildquelle: Nicholas Mackay
Während heute für die Suche nach einem Date eine App reicht, war das im 17. Und 18. Jahrhundert noch wesentlich komplizierter. Fürs Kennenlernen und Verlieben gab es viele gesellschaftliche Regeln, die aber gelegentlich auch gebrochen wurden. Eine Ahnung von diesen Liebesdingen vermitteln einige französische Romane aus jener Zeit. Vor dem Hintergrund dieser Schilderungen entstand 1994 das Ballett "Le Parc", choreographiert von Angelin Preljoçajs zu Musik von Mozart.
Dieser Park im Ballett "Le Parc" ist nicht grün, da wüten auch keine Laubbläser gegen den Herbst auf der Bühne des Nationaltheaters. In einer modernistisch anmutenden Landschaft überragen drei akkurate Pyramiden aus Lochblech das Tanzgeschehen: sie stehen symbolisch für sorgfältig gestutzte Buchsbäume und damit für eine penible Ordnung. Vier Gärtner, eingewickelt in erdbraune Schürzen, spurten mit stechenden Schritten und klappenden Scherenhänden wie Rieseninsekten durch ihren Park. Dazu wabert eine Klangwolke aus Vogelgezwitscher, Stimmen und elektronischen Geräuschen, komponiert von Goran Vejvoda. Die vier Gärtner bekommen keine Melodien, ihr Leitmotiv ist diese Soundwolke, passend zum blau-weißen Wolkenszenario, das den Bühnenhintergrund einnimmt. Kaum hat sich das schuftende Gärtnerquartett verzogen, stürmt der übermütige Adel zu Mozarts Musik in den Park: Frauen wie Männer tragen Knickerbocker, Rüschenhemden, haben flatternde Rockschösse, Schleifen im Haar und Schnallenschläppchen. Deutlicher könnte man das 18. Jahrhundert nicht illustrieren.
In einer Art Nummernrevue treiben sie Ränkespiele um Gartenstühle, blicken begehrend über die Schulter und baggern sich an. Choreograph Angelin Preljoçajs verbindet Versatzstücke aus barocken, höfischen Tänzen mit Elementen des modernen Tanzes: kratzfußartige Verbeugungen, dekorative Arme, die sich über dem Tänzerkopf zu Herzen formen und trippelnden Pirouetten treffen auf kantige, tiefe Schrittfolgen, scharf gesetzte Spagatsprünge und strampelnde Füße. So schreitet der Abend im Park buchstäblich voran.
Bildquelle: Nicholas Mackay Für eine Gartenparty schlüpfen die Ballerinen in riesige Barock-Kostüme und schweben darin mehr, als dass sie tanzen. Kostümbildner Hervé Pierre hat sich für die prächtigen Hüllen von Gemälden inspirieren lassen: jedes Kleid ist üppig bestickt, jeder Stoff ein Kunstwerk, das vor Blütenpracht nur so strotzt. Als hätten die Rosensträucher des Parks nun Beine bekommen. Dass damals die edlen Fräuleins wegen der eng geschnürten Korsette reihenweise in Ohnmacht fielen, nutzt der Choreograph als Running Gag. Huch, da kippt schon wieder eine Tänzerin aus den Schühchen! Nebulös und dabei von zerbrechlicher Schönheit ist es, wenn die vier Gärtner eine Schlafende im Nachtgewand aus dem Park bergen. Geschmeidig und seidenweich fällt die Träumende immer wieder mit geschlossenen Augen einem anderen Gärtner in die Arme, wird in Zeitlupe über ihre Köpfe gekugelt, schreitet eine imaginäre Treppe hinab.
Höhepunkt am Ende eines jeden Aktes ist ein Pas de deux. In Nahaufnahme erzählt der Choreograph da die Geschichte eines einzigen Liebespaares von der ersten, zugeschnürten Begegnung bis zum verschmelzenden Pas de Deux, dem Happy End von "Le parc". Das Adagio aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 gibt dafür eine hingebungsvolle Steilvorlage. Und die beiden Solisten Madison Young und Julian MacKay füllen sie, mit winzigem Kreisen der Hände, mit schüchternen Blicken und mit einem ellenlangen Kuss: wenn sie schwerelos mit den Beinen in der Luft an seinen Lippen hängt und die beiden sich berauscht drehen und drehen und drehen. In diesem Wirbel entsteht ein Gefühl der Nähe zu diesem zarten Paar, das alles rundherum versinken lässt, das stechende Parfum der Sitznachbarin, die bellenden Huster aus dem Saal.
Choreograph Preljoçajs Körpersprache-mix aus Oldschool und New-Style, aus steifem Codex und geerdeter Moderne funktioniert durchweg gut, weil er Mozarts Musik mit Fledermausohren lauscht. Er kennt jede harmonische Verschiebung, jeden Triller, jeden Melodiebogen und findet dafür winzige Fingerbewegungen, fließende Hebefiguren oder zackige Klatscher. Allein, es hätte nicht gar so viel Rüschenrausch gebraucht, dann wäre der irgendwann einsetzende Knickerbockerkoller zu vermeiden gewesen. Denn Mozarts Musik lässt sich sogar im Eichhörnchenkostüm wunderbar vertanzen. Ja, es ist, als ob Mozart selbst in der Partitur eine eigene Spalte für die Tanzschritte niedergeschrieben hätte. Und das bayerische Staatsorchester im Graben ist für die Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiele auf der Bühne ein verlässlicher Partner. Es setzt Fuge, Mozarts Sinfoniesätze und Serenaden so um, dass sie den Tänzerinnen und Tänzern in die Hände und Füße spielen. Und so erblüht im Ballett "Le parc" Mozarts Musik in einer dritten Dimension, und bekommt eine körperliche Zärtlichkeit.
Sendung: "Leporello" am 27. November 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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