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NS-Dokuzentrum Bayreuth "Wagner hat Politik in Ästhetik verwandelt"

Die Stadt Bayreuth hat sich Ende Juni diesen Jahres nach einigem Hin und Her einstimmig dafür entschieden, ein NS-Dokumentationszentrum einzurichten. Darin soll ein Kuratorium von Forschenden und Lehrenden aufarbeiten, wie es überhaupt kommen konnte, dass das beschauliche Bayreuth zu einer Kultstätte der Nationalsozialisten werden konnte. Auch Sven Friedrich gehört dazu. Er leitet das Richard-Wagner-Museum in Bayreuth. Das widmet sich der düsteren Zeit bereits seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 2015. Braucht es überhaupt ein zweites Haus im kleinen Bayreuth?

Ehemaliges Wohnhaus von Houston Stewart Chamberlain.  | Bildquelle: BR-Studio Franken

Bildquelle: BR-Studio Franken

Es war sicher nicht nur der Klang von Richard Wagners "Tannhäuser"-Ouvertüre, der den Nationalsozialisten kitzelnde Schauer über ihre arischen Rücken gejagt hat. Es brauchte schon mehr als ein bisschen crescendo und Chromatik. Einzigartig in der Musikwelt ist, dass bei Richard Wagner Politik und Kunst in einer engen, fast schon intimen Beziehung stehen, erklärt der Direktor des Wagner-Museums in Bayreuth, Sven Friedrich: "Der 'Ring des Nibelungen' ist ja eine Parabel auf eine durch Politik, Macht und Ökonomie ruinierte Welt. Also Wagner hat sozusagen Politik in Ästhetik verwandelt."

Das Haus Wahnfried ist immer antisemitisch gewesen.
Sven Friedrich, Leiter des Wagner-Museums Bayreuth und Mitinitiator des geplanten NS-Dokuzentrums.

Die Rolle von Houston Stewart Chamberlain

Es war somit ein leichtes Spiel für die Nazis, Wagners ästhetische Gebilde wieder politisch aufzuladen. Quasi eine kunstvolle Rolle rückwärts. Treibende Kraft war der Bayreuther Kreis. Und der intellektuelle Mittelpunkt des Kreises war Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain. Genau diese in Bayreuth erfolgte "Instrumentalisierung von Kunst" will das geplante NS-Dokumentationszentrum Bayreuth analysieren. "Diesen Zusammenhang zu zeigen von Kunst und Politik", sagt Sven Friedrich gegenüber BR-KLASSIK, "speziell über diese Figur Chamberlain, wie eben nationalsozialistische Ideologie sich auch geistesgeschichtlich formiert, das gibt es meines Wissens so in Deutschland bisher nicht und das kann man hier in Bayreuth besonders gut und exemplarisch zeigen."

Hat Hitler Wagner "missbraucht"?

Damit soll auch ein Schlussstrich gezogen werden unter das Märchen, Hitler habe Wagner "missbraucht". Eine Behauptung, die vornehmlich dazu dient, Wagners Antisemitismus als Jugendsünde abzutun und seine Weste reinzuwaschen. Ein grundlegender Irrtum, meint Sven Friedrich: "Dieser ganze Wagner-Bayreuth-Komplex stellt ja von sich aus bereits ideologisch anschlussfähige Deutungsangebote bereit. Das Haus Wahnfried ist immer antisemitisch gewesen. Der Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil von Richard Wagners Kunsttheorie."

Chamberlain – ein vom Rassenwahn Besessener

Museumsdirektor Sven Friedrich | Bildquelle: Sven Friedrich Museumsdirektor Sven Friedrich | Bildquelle: Sven Friedrich Der Direktor des Wagner Museums ist davon überzeugt, dass Bayreuth ein solches Dokumentationszentrum braucht. Vor allem, weil die gewaltige Bedeutung von Chamberlain Vielen völlig unbekannt ist. Ein Intellektueller zwar, aber ein vom Rassenwahn Besessener: "Beispielsweise die Bibliothek Houston Stewart Chamberlains, die eine veritable Gelehrtenbibliothek ist, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, halte ich für extrem wichtig und extrem sinnvoll, und zwar am originalen Schauplatz. Da wird man sich darüber wundern, dass ein so gelehrter Mensch wie Chamberlain zum Vordenker Hitlers geworden ist und dass es eben auch nicht nur Krawall-Antisemitismus gibt. Dieser Aspekt ist uns besonders wichtig."

NS-Dokuzentrum: Schlüsselrolle für unser Selbstverständnis

Derzeit steht darum als Ort für das neue Dokumentationszentrum das ehemalige Wohnhaus von Chamberlain hoch im Kurs. Es liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Wagner-Museums. Das wäre recht praktisch, denn die Ergänzung zur Ausstellung in der Wagner-Villa liegt im buchstäblichen Sinne nur ein paar Schritte weit entfernt. Die Kombination aus beiden Ausstellungen könnte eine Schlüsselrolle für unser Selbstverständnis spielen, meint Sven Friedrich: "Nur wenn wir wissen, wo wir herkommen, können wir ja wissen, wer wir sind und wer wir sein wollen. Und wenn ich eine politische, eine gesellschaftliche Identität besitze, dann bin ich gegen politische extreme Anfechtungen immuner, als wenn ich diese nicht besitze. Und umgekehrt kann man formulieren: Der Mangel an Immunität gegen politischen Extremismus hat fundamental etwas mit Verlust von Identität zu tun."

Sendung: "Leporello" am 04. Oktober 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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