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"Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen Schauwert top!

Die Bregenzer Festspiele sind eröffnet! Am Mittwochabend hatte das Spiel auf dem See Premiere: Carl Maria von Webers "Der Freischütz", inszeniert von Philipp Stölzl. Mit einer Kulisse vom Feinsten. Allerdings wurde die Oper arg zurechtgestutzt.

"Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen | Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann

Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann

Der entscheidende, alle Fragen beantwortende Satz fällt schon im ersten Drittel, wie nebenbei: "Der Film geht weiter", entfährt es dem Teufel da am Ende einer jener Unterbrechungen, in denen er das Geschehen den ganzen Abend über ironisch-satirisch kommentiert.

Regisseur Philipp Stölzl setzt auf Filmästhetik

Ja, Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl hat die Oper in Wirklichkeit verfilmt, Carl Maria von Webers epochemachenden "Freischütz", diese musikalische Ikone der deutschen Schauerromantik. Und Stölzls Drehbuch muss sich dabei natürlich auch nicht an den geradlinigen Erzählfluss der Partitur halten – auf der Leinwand ist schließlich alles möglich. Also beginnt die Aufführung auf der Bregenzer Seebühne gleich mit dem "Unhappy Ending", einem Begräbnis – oder genau genommen noch früher. Jemand wird gezwungen, ein Grab auszuheben, und dann kurzerhand aufgeknüpft: Der Outcast ist Max, denn er hat seine eigene Braut erschossen. Dann rollt der Teufel die Geschehnisse als Rückblende auf. Und erst zwei Stunden später erlebt man mit, dass sogar der Gottseibeiuns manchmal fünf gerade sein lässt und auf den harten Realismus zugunsten eines schönen Scheins zu verzichten bereit ist …

Highlight der Oper: Die winterliche Dorfkulisse

"Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler Für die Bregenzer Festspiele ist eine Wintermärchenlandschaft auf dem Bodensee entstanden. | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler Den ungewöhnlich vielen bekannten Namen auf der Besetzungsliste zum Trotz: Der Star des Ganzen ist jene düstere, aus den Fugen geratene Wintermärchenlandschaft, die Stölzl aus einem Extra-Bassin im Bodensee hervorragen lässt. In ihrem wundersamen Detailreichtum bietet sie schon für sich genommen einen prächtigen und für Bregenz auch ziemlich ungewöhnlichen Anblick. Wo sonst der Blick gerne auf ein beherrschendes, monumentales Element fokussiert wird, man erinnere sich nur an Stölzls Bregenz-Debüt mit Verdis "Rigoletto", wofür er einen riesigen Clownskopf bauen ließ, regiert diesmal eine Wimmelbildatmosphäre, angesiedelt irgendwo zwischen Pieter Brueghel und dem Dorf Hogsmeade aus "Harry Potter". Hügelkuppen, Baumskelette und windschiefe Häuser ächzen unter einer eisigen Schneedecke. Links ein schiefer Kirchturm, dahinter das Wirtshaus, oben rechts eine Mühle mit Bach, vorne Eisschollen zum Schlittschuhlaufen, rechts dramatisch überschwemmte Häuser. Denn nicht nur den Dreißigjährigen Krieg, sondern auch eine Flutkatastrophe hat Stölzl die dörfliche Gemeinschaft mehr schlecht als recht überleben lassen.

"Der Freischütz" strotzt vor Tricktechnik und Lichteffekten

Und natürlich werden in der Wolfsschluchtszene dann keine Kosten gescheut, die Begegnung mit dem Unheimlichen mit aller zur Verfügung stehenden Tricktechnik in, nun ja, Musical- oder Bühnenshowästhetik darzustellen: Schauwert top! Das wirkt – besitzt jedoch seinen Höhepunkt nicht in einer feuerspeienden Riesenschlange, einem auf dem Wasser brennenden Zauberkreis oder diversen Lichteffekten, sondern beim Auftritt des plötzlich real wirkenden "Wilden Heeres": Da wird sehr schnell klar, dass die Sage in marodierenden Horden wurzelt, die einst plündernd und brandschatzend Schrecken verbreitet haben.

Top 5: Große Momente im "Freischütz"

"Der Freischütz" von Carl Maria von Weber wurde zum Sinnbild der deutschen Romantik, mit Szenen im dunklen Wald, dem Reich der Geister, Zauber und Märchen, mit der Verführung eines jungen Mannes durch das Böse und der Erlösung durch das Opfer einer hingebungsvollen Frau. Wir stellen Ihnen fünf musikalische Höhepunkte vor.

Viele inhaltliche Eingriffe

"Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler Für die Inszenierung "Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen hat Regisseur Philipp Stölzl Handlung, Dialoge und Gesangstexte verändert. | Bildquelle: Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler Wer aber als erklärte Opernfreundin Webers Musik in ihrer unerhörten Spannweite erleben möchte, die von biedermeierlicher Behaglichkeit über innovative Klangeffekte bis zu ekstatischen Ausbrüchen reicht, oder wer als Purist Eingriffe in Handlung, Dialoge und Gesangstexte auf ein Minimum beschränkt sehen will, muss freilich in diesem und im nächsten Bregenzer Sommer sehr stark sein. Denn in seinem Movie-Skript geht Stölzl ziemlich unbekümmert über vieles Altbekannte hinweg und knetet sich den Inhalt nach eigenem Gutdünken zurecht.

Bei ihm ist Max kein Jäger, sondern ein Amtsschreiber und als solcher schon von vornherein kein Meisterschütze; Schützenkönig Kilian, zum Nebenbuhler aufgewertet, wirbt forsch um Agathe, die sich aber nicht beirren lässt in ihrer Liebe zu Max, immerhin ist sie von ihm schwanger – und einmal, nach einem langen, innigen Kuss mit ihrer treuen Freundin Ännchen, die Agathe wohl im Geheimen liebt, sieht es aus, als wollten die beiden Frauen à la Thelma und Louise durchbrennen. Da hört man den verständlicherweise angesetzten Modernisierungshebel doch deutlich knirschen bei seiner Arbeit.

Webers Partitur wird zurechtgestutzt

Webers Partitur wird zu all dem und mehr in großen Stücken und unter entscheidenden Auslassungen wie eine Filmmusik verwendet, zurechtgestutzt, montiert: Das C-Dur-Jubelfinale der spät doch noch einsetzenden Ouvertüre zum Beispiel ergäbe natürlich keinen Sinn in Stölzls Konzept, also folgt gleich der "Viktoria!"-Chor. Noch angereichert wird das durch zusätzliche Soundtrack-Nummern von Cembalo, Kontrabass und Akkordeon, die freilich nichts Wesentliches zum Ganzen beitragen – im Gegensatz zur dominanten, pointiert eingesetzten Geräuschkulisse aus allerlei Vogelgekreisch und Donnergrollen, die die "Harry Potter"-Atmosphäre schon mal in Richtung Edgar-Wallace-Filme von anno dazumal verrückt.

Dass in diesem Text erst jetzt vom Gesangsensemble die Rede ist, mag manche empören, passiert aber nicht ohne Grund: Selbst für Bregenzer Verhältnisse war das Gewicht einer Aufführung schon lange nicht mehr so deutlich vom Musikalischen zum Szenischen hin verschoben – und in einigen Fällen hinkten die vokalen Leistungen auch dem jeweiligen Namen hinterher. Das ergab in Summe eine auffällige Unausgeglichenheit, welche die klangliche Verstärkung auf der Seebühne noch extra zu vergrößern schien.

Katharina Ruckgaber singt ein blitzsauberes Ännchen

"Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen | Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann Katharina Ruckhaber (Ännchen) singt eine Arie zu einem Wasserballett. | Bildquelle: Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann Im Mittelfeld das Liebespaar: Mauro Peter ist ein aus dem Lyrischen kommender Max, der die Naivität der Figur gut trifft, dem in der Höhe aber das Klangfundament seines Tenors abhandenkommt. Und Nikola Hillebrand steigert sich von der "Leise, leise"-Arie, in der sie etliche Verse dem Sprechgesang des Teufels überlassen muss, zu einer noblen Cavatine im dritten Akt. Schwächer hingegen Christoph Fischesser, dem es für den hier vagabundierenden Kaspar an der entscheidenden Prise Gefährlichkeit in der Bassstimme fehlt, die Habsburger-Parodie von Liviu Holender als übergriffigem Ottokar – und Franz Hawlata, dessen Kuno sich gesanglich ganz in die knorrig verwachsenen Bäume des Bühnenbilds einfügt. Auf der Habenseite hingegen Andreas Wolf als Eremit, vom Teufel prunkvoll ausstaffiert wie ein Gnadenbild und dann ins Wasser geworfen, der aufgewertete Kilian des Maximilian Krummen – sowie vor allem Katharina Ruckgaber: Dieses resolute, im Gesang blitzsaubere Ännchen hat seine erste Arie zu einem Wasserballett zu singen, musikalisch komplett übergossen mit Hollywood-Zuckersirup-Bearbeitungssoße.

Der Dirigent Enrique Mazzola stößt sich daran offenbar nicht. Er beginnt mit den Wiener Symphonikern etwas zäh und unscheinbar, kommt aber dann auf Touren: Mazzola will Weber bewusst nicht als Proto-Wagner darstellen, sondern als Weiterentwicklung von Mozart und Beethoven, das funktioniert immerhin ganz passabel.

Publikumsliebling: Moritz von Treuenfels als Samiel

Der Publikumsliebling aber war der allgegenwärtige teuflische Conférencier Samiel in Gestalt von Moritz von Treuenfels. Gewiss, da gelingen einige Pointen, aber: Viel, in Summe ganz gewiss zu viel neu gedichteten, gereimten Text hat ihm Stölzl zugedacht, hin und wieder muss er Offensichtliches wiederholen und auswalzen, damit es auch wirklich alle kapieren.

In Bregenz spielt man also weniger Webers "Freischütz" als einen Fantasy-Music-Movie frei nach Weber: Hat man richtig gehört, gab's dafür, inmitten des allgemeinen großen Jubels, erstmals auch ein paar verstohlene Buhs für eine Regie auf der Seebühne?

Sendung: "Allegro" am 18. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Operngeher

Qualität

Danke, dass es immer mal wieder auch diese Qualität von Opern-Kritik auf BR Klassik. Es ist freilich die Ausnahme.

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