Im Bregenzer Festspielhaus müht sich Regisseur Jan Philipp Gloger redlich mit Rossinis "Tancredi". Er macht die absurde Handlung um zwei verfeindete Familien so nachvollziehbar wie zeitgemäß. Dennoch keimt Langeweile auf.
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Selbstfahrende Autos sind bekanntlich eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Dasselbe gilt für die selbstfahrende Regie: auch die ist ungeheuer schwer ins Laufen zu bringen, nämlich eine Regie, die als solche gar nicht auffällt. Im Fernsehen ist das die Regel, in der Oper die Ausnahme, denn da wollen Regisseure normalerweise mit einer möglichst spektakulären Deutung glänzen, womöglich gar provozieren.
Diesen Ehrgeiz haben der Nürnberger Schauspielchef Jan Philipp Gloger und sein Bühnenbildner Ben Baur bei Rossinis Jugendwerk "Tancredi" nicht. Ganz im Gegenteil: Sie wollen eine plausible Geschichte erzählen, die scheinbar von ganz allein abschnurrt, "selbstfahrend" eben.
"Tancredi" bei den Bregenzer Festspielen erzählt von zwei Frauen, die in einer Clan- und Macho-Welt keine Chance auf ihre Liebe haben. | Bildquelle: Karl Forster
Das ist in diesem Fall eine enorme Leistung, denn der 20-jährige Gioachino Rossini hat eine aus heutiger Sicht so absurde wie unübersichtliche Oper geschrieben. Zwei verfeindete adelige Familien schließen sich dann doch zusammen, weil sie sich von außen bedroht fühlen, in dieser Inszenierung durch die Drogenfahndung. Ein Liebespaar kommt dabei unter die Räder.
Im Original natürlich ein heterosexuelles, bei Jan Philipp Gloger ein lesbisches, was aus zwei Gründen nachvollziehbar ist: Erstens wird die männliche Titelfigur Tancredi sowieso von einer Frau gesungen, bei den Bregenzer Festspielen von der fabelhaften russischen Mezzosopranistin Anna Goryachova, zweitens macht die Liebe zwischen zwei Frauen den Konflikt glaubwürdiger. Gezeigt werden zwei Liebhaberinnen, die in einer Clan- und Macho-Welt keine Chance auf Selbstverwirklichung haben. Hier wird kiloweise Kokain in die Luft gewirbelt, in der Mucki-Bude trainiert, alle paar Minuten wahlweise herumgeballert oder inbrünstig gebetet. Klar, lauter Mafia-Klischees, aber klischeehaft ist ja auch Rossini.
Die Bregenzer Festspiele sind eröffnet! Am 17. Juli hatte das Spiel auf dem See Premiere: Carl Maria von Webers "Der Freischütz", inszeniert von Philipp Stölzl. Mit einer Kulisse vom Feinsten. Allerdings wurde die Oper arg zurechtgestutzt. Lesen Sie hier die Premieren-Kritik.
Bühnenbildner Ben Baur hat eine verwinkelte italienische Villa für die Drehbühne entworfen. | Bildquelle: Karl Forster Bühnenbildner Ben Baur hat eine verwinkelte italienische Villa für die Drehbühne entworfen: Ständig öffnen sich neue Räume, der Innenhof mit Wasserbecken, eine schäbige Wohnküche, Flure, ein Jungmädchenzimmer mit David-Bowie-Poster, und auch der sprichwörtliche Balkon ist für diese Romeo und Julia-Version vorhanden. Das alles ist fast fotorealistisch anzuschauen, macht aus dem Werk des unreifen Rossini einen Drogenkrimi, der um eine halbe Stunde gekürzt deutlich unterhaltsamer gewesen wäre. So wurden die drei Stunden zunehmend zäh, nicht zuletzt, weil Rossini sich in einer endlosen und unfreiwillig komischen Todesszene verlor.
Dirigentin Yi-Chen Lin legte es sehr darauf an, das Tragödienhafte herauszuarbeiten und Rossini dessen angeborene Neigung zum schwungvollen Tanz- und Schunkelrhythmus auszutreiben. Stimmt, gute Laune passt hier inhaltlich gar nicht, aber vor 200 Jahren sah man das völlig anders. Da wollte sich das Publikum auch in der Tragödie hauptsächlich amüsieren. Insofern war der Abend musikalisch düsterer und verschatteter als nötig, was ebenfalls zur leise aufkommenden Langeweile beitrug. Der Prager Philharmonische Chor und die Solisten taten ihr Bestes, Krimi-Atmosphäre aufkommen zu lassen, zumal auch Stuntmen für akrobatische Kampfchoreographie sorgten.
Der Prager Philharmonische Chor und die Solisten taten ihr Bestes, Krimi-Atmosphäre aufkommen zu lassen. | Bildquelle: Karl Forster Mélissa Petit als verliebte Amenaide und die bereits erwähnte Anna Goryachova als Freundin Tancredi überzeugten mit ihren innigen, anrührenden Arien, hätten allerdings ihre Hassausbrüche und ihre Eifersuchtsszenen deutlich martialischer interpretieren können. Tenor Antonio Siragusa als Familienpatriarch Argirio fehlte die sonore Kraftmeierei. Er wirkte stimmlich sehr ätherisch, fast jungenhaft. Die aus Siena stammende Mezzosopranistin Laura Polverelli gab eine resolute, leidgeprüfte Mutter, die in Mafiakreisen ja immer auch Respektsperson sein soll. Insgesamt freundlicher, aber nicht überschwänglicher Applaus.
Sendung: "Allegro" am 19. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Freitag, 19.Juli, 22:17 Uhr
Luca Ronconi
Andernorts lieber ...
Rossini dann doch lieber in Pesaro oder Aix, die Fotos lassen eher wenig Lust aufkommen, sich das anzuschauen sowie für Eintritt, Aufenthalt und Reise auch noch Geld auszugeben.
Anmerkung: Weder ist Rossini "klischeehaft" noch gibt es bei ihm eine "Neigung zum schwungvollen Tanz- und Schunkelrhythmus" - das glaubt man bestenfalls in Deutschland, wo man Rossini noch nie wirklich verstanden hat.